Buchherstellung
von Werner Williams-Krapp (Augsburg)
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Die Herstellung eines Buches war im Mittelalter teuer und aufwändig. Das mittelalterliche Buch ist das Endprodukt eines mehrstufigen Produktionsprozesses, der nicht selten die Zusammenarbeit mehrerer Schreiber, Illustratoren und Handwerker erforderte.
Film: Buchherstellung im Mittelalter
Lagen
Die Buchherstellung begann mit dem Falten, dem sog. Falzen eines Bogens. Während Papier im Format des Siebes erworben werden konnte, musste Pergament zunächst zugeschnitten werden. Die gefalteten Bögen legte man dann ineinander und stellte Lagen her. Zumeist bestanden sie aus vier bis sechs Doppelblättern. Im Mittelalter zählte man nicht nach Seiten, sondern nach Blättern. Aus einem Bogen entstanden durch Faltung zwei Blätter, bei denen die Vorderseite (recto) und die Rückseite (verso) voneinander unterschieden werden können.
Schriftspiegel
Sodann ging es darum, den sog. Schriftspiegel – den Raum der für Schrift und evtl. Illustrationen vorgesehen wurde – am Seitenrand zu markieren, um dann mit einem Linieal die Zeilen einzufügen. Das machte der Schreiber mit einem stumpfen Griffel, einer feinen Tinte oder einem Zeichenstift aus Silber und Blei. Er rieb sich auf dem Beschreibstoff ab und verschwärzte dort durch Oxidation.
Schreibprozess
Nun begann das Schreiben, zunächst mit schwarzer, seltener mit einer bräunlichen Tinte. Der Schreiber oder die Schreiberin nutzten eine Vogelfeder. Gänsefedern wurden am meisten verwendet (Gänsekiel), allerdings ohne Befiederung. Ein scharfen Messerchen diente dazu, die Feder immer wieder nachzuspitzen oder Fehler auf dem Beschreibstoff wegzuradieren. Die Schreibunterlage war geneigt, damit die Tinte nicht so schnell von der Feder floss. In der Regel gab es zwei Tintenfässer, eines für die schwarze und eines für die rote Tinte. Der Schreiber ließ Platz für Initialen (Großbuchstaben), die sehr kunstvoll sein konnten, sowie für Überschriften und eventuelle Bebilderungen.
Rubrizierung und Illustration
Der zweite Gang war dem Rubrikator (Rotmacher) überlassen, der nicht immer mit dem Schreiber identisch war. Er trug nun die Überschriften, die Initialen, die Lombarden (kleinere Initialen), Buchstabenstrichelungen und Textgliederungszeichen nach. Dabei konnte er auch die Abschrift überprüfen und Korrekturen eintragen. Der letzte Gang war dann die Illustrierung der Handschrift, die aber nur verhältnismäßig selten vorgenommen wurde. Das lag an den großen Kosten, die ein Künstlerengagement mit sich brachte. Eine illustrierte Handschrift war statusträchtig nicht nur in Laienkreisen.
Buchbindung: Reklamanten und Heftlade
Schließlich ging es darum, die Lagen zusammenzufügen. Um zu verhindern, dass die Lagen durcheinander kamen, pflegten die Schreiber die ersten Worte der nächsten Lage auf dem letzten Blatt der vorhergehenden Lage zu notieren (die sog. Reklamanten). Sie wurden beim Beschneiden des Buchblocks dann sehr häufig weggeschnitten. Für das Binden des Buchs wurden die Lagen in der Mitte mit Nadel und Faden durchstochen. Auf der sog. Heftlade wurden die Lagen dann zusammengeheftet.
Dann konnte man den Einband, der zumeist aus Eichen- oder Buchenholzbrettern bestand, verpflocken. Die Enden der Bünde wurden mit Hilfe von Pflöcken oder Klebungen an den Buchdeckeln montiert. Um das Ganze noch stabiler zu gestalten, wurden die beiden Deckel zusätzlich oben und unten mit einem weiteren Streifen, dem sog. Kapital, miteinander verbunden. Anschließend wurde das Ganze mit Leder oder Pergament überzogen.
Der Einband: Erscheinung und Funktion
Häufig wurden verzierte Metallteile angebracht, sogenannte Beschläge, um die Ecken zu schützen. In einigen Bibliotheken brachte man sogar noch Kettenösen am Buchdeckel an, um Bücher anketten zu können, sodass sie nicht leicht gestohlen werden konnten. Weil vor allem Pergamenthandschriften stark auf Schwankungen der Luftfeuchtigkeit reagieren und sich daher wellen, hat man zumeist auch Schließen an den Einband angebracht, die den Buchblock zusammenpressen. Zudem schützte man den Einband häufig mit Buchnägeln, weil Bücher im Mittelalter nicht stehend, sondern liegend aufbewahrt wurden. Hinzu kamen Dekorationen in Form von eingeprägten Mustern auf dem Leder, was man etwa mit Streicheisenlinien, Einzel- oder Rollenstempeln bewerkstelligte. In Einzelfällen gerieten Buchdeckel gar zu regelrechten Kunstwerken. So entstanden Handschriften, die die Jahrhunderte bestens überstanden haben.