Siegel

von Andrea Stieldorf (Bonn)

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Als Siegel bezeichnet man einerseits eine aus hartem Material bestehende Matrize, in die negativ eine bildhafte Darstellung und/oder Schriftzeichen eingraviert wurden, welche in eine weiche, sich später erhärtende Masse gedrückt wird. Zum anderen wird der so entstandene positive Abdruck als Siegel bezeichnet.

Siegel der Königin Elisabeth. Stiftsarchiv Rein, Urkunden (1129-1600), A VI/19.

Will man differenzieren, kann man für den Stempel von einem (Siegel-)Typar oder einem (Siegel-)Petschaft sprechen und das erstellte Objekt als (Siegel-)Abdruck bezeichnen. Von Siegelabgüssen ist die Rede, wenn von Typaren oder Abdrücken mit Hilfe abgusstechnischer Verfahren zu Lehr- oder Ausstellungszwecken Kopien erstellt werden.

Typar eines Siegels der Stadt Boppard: British Museum London, Department of Medieval and Later Antiquities, Registration number 1842,0926.6. [CC BY-NC-SA 4.0]
Umschrift: + BOPARDIA LIBERVM ET SPETIALE OPIDVM ROMANI IMPERII

Die Siegelabdrücke wurden im lateineuropäischen Mittelalter überwiegend aus Wachs hergestellt, wobei sich die folgenden Ausführungen vor allem auf das römisch-deutsche Reich beziehen. Durch verschiedene Beistoffe konnte es unterschiedliche Färbungen annehmen: Zwischen Gelblich und Bräunlich bis hin zu den Farben Rot, Grün und selten Schwarz.

Die Typare wurden insbesondere aus Bronze, Messing und Silber hergestellt. Die an den Siegelplatten befestigten Handhaben wurden aus Materialien wie Metall oder auch Holz gearbeitet, es sei denn, es handelte sich um Ringsiegel oder es wurde einfach eine Metallöse am Stempel angebracht.

Was sind die Funktionen eines Siegels?

Die bedeutendste Funktion des Siegels aus der Sicht der Urkundenlehre, die hier im Mittelpunkt steht, ist die Beglaubigung von Urkunden (vgl. Urkundenschriften sowie Format und Layout). Der Aussteller (oder auch die Ausstellerin – dieser Punkt ist wichtig, soll aber der sprachlichen Einfachheit wegen im Folgenden nur gelegentlich Berücksichtigung finden) bekundete mit der Besiegelung einer Urkunde, die in der Regel nicht von ihm, sondern von einer hierfür beauftragten Person vorgenommen wurde, sein Einverständnis mit dem Urkundeninhalt und damit auch seine rechtliche Verantwortlichkeit. Auch Zeugen konnten gebeten werden, durch die Anbringung ihres Siegels an der Urkunde ihrer Zeugenschaft und damit der Rechtmäßigkeit des Rechtsgeschäftes oder der Beurkundung zusätzlichen Ausdruck zu verleihen.


Daneben wurden im Mittelalter Siegel in nicht-diplomatischen Kontexten verwendet. So wurden sie für den Verschluss von Gefäßen sowie Räumen verwendet oder als Echtheits- oder Qualitätsnachweis von Waren. Hierfür kamen andere Siegelstempel zum Einsatz als für die Beglaubigung von Urkunden. Zwischen dem diplomatischen und nicht-diplomatischen Gebrauch von Siegelabdrücken changiert ihre Verwendung als Verschlussmittel von Briefen.

Wer führte ein Siegel?

Mit der Frage nach den Siegelführern sind zwei weitere eng verbunden, zum einen die nach den Voraussetzungen zur Berechtigung, ein Siegel zu führen, und zum anderen die nach der Ausbreitung des Siegelwesens im Mittelalter. Regelungen zum Siegelrecht kamen erst im 12. Jahrhundert auf, als sich der Gebrauch von Siegelurkunden in Teilen Lateineuropas immer mehr verbreitete. Die Bestimmungen entstammten überwiegend dem Kirchenrecht oder den spätmittelalterlichen Volksrechten. Danach kann man seit dem ausgehenden Hoch- und Spätmittelalter festhalten, dass jeder Freie ein eigenes Siegel führen konnte, was nicht bedeutet, dass dies tatsächlich umgesetzt wurde. Diese Berechtigung galt jedoch nur für die jeweils eigenen Angelegenheiten.

Das Recht, ein Siegel in Angelegenheiten anderer zu verwenden, bildet die zentrale Frage siegelrechtlicher Diskurse, die für diese öffentlich anerkannten Siegel mit dem Begriff des authentischen Siegels (sigillum authenticum) operieren. Hierbei sind regional starke Unterschiede zu erkennen, die u.a. davon abhängig waren, inwieweit das Notariatswesen in einer Region verbreitet war (vgl. Notariatsinstrumente / Notariatsurkunden).

Die Entwicklung des Siegelwesens vor 1100

Die Frage nach Konventionen, die die Verwendung von Siegeln als Beglaubigungsmitteln bestimmten, lässt sich besser beantworten, wenn zugleich die besiegelten Urkunden betrachtet werden. Am Anfang der Besiegelung von Urkunden standen seit der Mitte des 7. Jahrhunderts die merowingischen Könige. Da die Siegel nicht als Beglaubigungsmittel ankündigt wurden, hatten sie möglicherweise noch eher die primäre Funktion als Erkennungszeichen und Legitimationszeichen für den ausfertigenden und besiegelnden Referendar des Königs.

Erst unter den Karolingern wurden Siegel zu primären Beglaubigungsmitteln, die als solche in den Urkundentexten angekündigt wurden. Bis in die Mitte des 10. Jahrhunderts blieb die Besiegelung von Urkunden ein wesentlich auf die Herrscher beschränktes Phänomen, und zwar in Italien sowie im Ost- und im Westfrankenreich. Erst im 11. Jahrhundert traten auch die angelsächsischen Könige hinzu. Der Kreis der königlichen Siegelführer wurde seit dem zweiten Viertel des 10. Jahrhunderts durch die rheinischen Erzbischöfe erweitert, die damit ihre Mitwirkung an der Reichsregierung zum Ausdruck brachten. Zwar folgten ihnen vereinzelt weitere Bischöfe, doch setzte sich die bischöfliche Siegelführung allgemein erst im 11. Jahrhundert und dann auch in weiten Teilen Europas durch.

Überhaupt ist im 11. Jahrhundert eine erste Erweiterung des Kreises der Siegelführer festzustellen: Zum einen besiegelten nun die Päpste ihre Urkunden, die jüngeren Studien zufolge zuvor vermutlich versiegelt, aber nicht zu Beglaubigungszwecken besiegelt gewesen waren. Außerdem traten neben die Bischöfe erste weltliche Fürsten. Dies gilt letztlich ebenso für die ersten institutionellen Siegel, die von Domkapiteln sowie Klöstern und Stiften verwendet wurden, wobei erste Äbtissinnen und Äbte ebenfalls Siegel führten. Neben den Siegelurkunden gibt es von denselben Ausstellern aber auch unbesiegelte Urkunden, was zeigt, dass das Verfahren rechtlich noch nicht festgelegt war und das Führen eines eigenen Siegels zugleich einen hohen repräsentativen Wert hatte.

Die Entwicklung des Siegelwesens nach 1100

Das Aufkommen der Siegelurkunde wird mit für die im 12. Jahrhundert einsetzenden Verschriftlichungsschübe verantwortlich gemacht, in deren Folge immer mehr Urkunden zu einer sich ständig erweiternden Palette an Rechtsgeschäften ausgefertigt wurden. Dies führte dazu, dass die Siegelführung der geistlichen Kommunitäten und ihrer Vorsteherinnen und Vorsteher nun der Regelfall wurde, aber auch dazu, dass die Siegelführung weltlicher Adliger, von Frauen und Männern, zunehmend an Bedeutung gewann, auch wenn dies zunächst nur für den Hochadel galt; der Niederadel folgte ab dem 13. Jahrhundert. Einige der entstehenden Städte führten erste Siegel.

Der Durchbruch der städtischen Siegel erfolgte im 13. Jahrhundert. Aus der Entwicklung der Städte resultierte zudem die Siegelführung von Bürgern, oft in Verbindung mit der Übernahme städtische Ämter. Führten also zunächst nur Mitglieder der städtischen Führungsschichten eigene Siegel, so galt dies – mit deutlichen Unterschieden je nach Stadt und Region – seit dem 14. Jahrhundert ebenso für die bürgerlichen Mittelschichten und für Bürgerinnen.

Zudem entwickelten sich im Spätmittelalter neue institutionelle Siegel wie die von Gerichten oder Ämtern und deren Amtsträgern, aber auch von Kirchengemeinden und Pfarrern; in manchen Regionen ist die Siegelführung von Bauern nachzuweisen. Im Verlaufe des Mittelalters ist folglich eine zunehmende stratigraphische Auffächerung des Siegelwesens zu beobachten.

Welche Funktionen hatte das Siegelbild?

Bei den meisten Siegeln tritt die bildliche Gestaltung des Siegelfeldes prägnant hervor. Da das Siegel der Beglaubigung von Urkunden diente, war es die Aufgabe insbesondere des Siegelbildes, in einem rechtlichen Kontext Vertrauen in die Verbindlichkeit der durch den Siegelführer getroffenen Aussagen zu schaffen. Dazu musste mit möglichst gut verständlichen Bildelementen die Stellung des Siegelführers, die ihn zu seinem Handeln berechtigte, eindeutig visualisiert werden.

Bei Herrschersiegeln, wie in diesem Fall dem 1190 erstmals belegten zweiten Königssiegel Heinrichs VI., geschieht dies durch die thronende Darstellung des Herrschers, der durch seine Gewänder sowie neben dem Thron vor allem durch die Insignien – Krone, Zepter und Reichsapfel – eindeutig als König (seine Kaisersiegel sind diesem recht ähnlich) charakterisiert ist. Mit wenigen bildlichen Mitteln wird die Stellung des Siegelführers präzise umschrieben.

Zweites Königssiegel Heinrichs VI.: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv, UR AUR Nr. 290 (freigestellt).
Umschrift: + HEINRIC(VS) D(E)I GR(ATI)A ROMAN//OR(VM) RE//X (ET) SEMP(ER) AVGVS//TVS

Allen Siegeln hochrangiger Personen ist gemeinsam, dass Siegelbild und Umschrift eng mit dem Amt des jeweiligen Siegelführers und dessen Autorität verbunden waren. Die Gestaltung des Siegels sollte dieses Amt sowie den damit verbundenen Rang widerspiegeln, weshalb die verwendeten ikonografischen Elemente meist festen Konventionen folgten. Dies gilt für die in Deutschland seit dem 12. Jahrhundert nachweisbaren Thronsiegel von Bischöfen und Äbten sowie Äbtissinnen der benediktinischen Abteien und alten Stiftsgemeinschaften, die deren Anspruch nicht nur auf geistliche, sondern auch auf weltliche Herrschaft zum Ausdruck bringen. Für die jüngeren Ordensgemeinschaften sowie geistliche Amtsträger in anderen europäischen Ländern überwiegt hingegen die stehende Darstellung.

Durch Insignien wie Mitra und Krummstab wird insbesondere die Stellung der Bischöfe bezeichnet, wohingegen sich Attribute wie das offene oder geschlossene (Evangelien-)Buch oder der Segensgestus auch bei Äbtissinnen und Äbten finden; gerade bei Letzteren wurde oft auch die Zuchtrute (virga correctionis) als Zeichen der innerkonventlichen Straf- und Herrschaftsgewalt abgebildet. Auch die Kleidung der Siegelführer weist auf Amt und Rang hin, wie etwa die Pontifikalgewänder bei Bischöfen und hochrangigen Äbten.

Erzbischofssiegel Heinrichs I. von Köln: Historisches Archiv der Stadt Köln, Domstift U 1/124.
Umschrift: + HEINRIC(VS) DEI GR(ATI)A S(AN)C(T)E COLONIENSIS ECCL(ESI)E ARCHIEP(ISCOPV)S
Äbtissinnensiegel Irmingards II. von Gernrode: Landesarchiv Niedersachsen, Abteilung Wolfenbüttel, WO 28 Urk. Nr. 188.
Umschrift: + S(IGILLVM) ERMEGARDIS DEI GRACIA ABBATISS(A) ECC(LESIE) GERNRODE

Weltliche Hochadelige wie Herzöge und Grafen führten Reitersiegel, die sie in Rüstung auf einem häufig im Galopp dargestellten Pferd reitend zeigen, womit auf die Wehrhaftigkeit, die sie zur Verteidigung ihrer Territorien unter Beweis stellen mussten, sowie die höfische Ritterkonzeption gleichermaßen angespielt wurde. In Deutschland halten Reichsfürsten als Zeichen der Reichsunmittelbarkeit eine Fahnenlanze in der Hand, andere Hochadelige ein gezücktes Schwert; in England und Frankreich wird zunächst vor allem die Fahnenlanze abgebildet, seit den 1120er Jahren überwiegt das Schwert.

Die Siegel der hochadeligen Frauen, welche in der Regel kein Amt bekleideten, übernahmen stärker repräsentative Funktionen und betonten vor allem Reichtum, höfische Raffinesse und über die Familienwappen der Heirats- sowie der Herkunftsfamilie Vernetzungen sowie den Rang der Familien.

Im Niederadel finden wir schließlich überwiegend Wappensiegel. Je niedriger der Stand eines Siegelführers ist, desto weniger greifen Konventionen, die die Wahl seines Siegelbildes einschränken. Aus England kennt man so eine ganze Reihe von sog. personal seals, oft ohne Umschrift, die eine breite Palette von Motiven zeigen: Sterne, verschiedene Tiermotive, Gegenstände und vieles mehr. Generell ist zu konstatieren, dass im Verlaufe des Spätmittelalters bei allen Gruppen von Siegelführern die Verwendung von Wappen, auch als alleiniges Siegelbild, an Bedeutung gewinnt.

Siegel des Grafen Gerhard von Jülich: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, AA 0248 Essen, Stift, Urkunden Nr. 139.
Umschrift: S(IGILLUM) GERARDI DE IVLIACO DOMINI D(E) CASTRE.
Siegel der Gräfin Mechthild von Sayn: Hessisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung Wiesbaden, Abt. 74 Nr. 8.
Umschrift: SIGILLV…

Waren Siegelbilder auch bei institutionellen Siegelführern lange noch an Personendarstellungen gekoppelt, z.B. bei Siegeln von Klöstern und Stiften deren heiliger Patron, so führte das Aufkommen neuer Arten von Institutionen und Korporationen wie Städten, Universitäten, Zünften usw. seit dem ausgehenden Hochmittelalter zu zunehmend komplexeren Gestaltungen der Siegelbilder, die sich aus mehreren Elementen zusammensetzen konnten, wie beispielsweise der Stadtmauer, dem Stadtpatron und dem Wappen des Stadtherrn bei Stadtsiegeln (hier das Beispiel von Boppard) oder von Lehrszenen, Wappen des Universitätsgründers und Patron des Universitätskanzlers bei Universitätssiegeln (hier das Beispiel von Heidelberg).

Auch hier zeigt sich das Bemühen, durch den Einsatz weniger, prägnanter Bildelemente den Siegelführer eindeutig in seinen rechtlichen Rahmenbedingungen – deswegen der Verweis auf den Stadtherrn oder den Universitätsgründer und Landesherren – sowie über bestimmte Funktionen – Stadtmauer oder Lehrszene – eindeutig innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft zu verorten. Der Verweis auf die Heiligen, die von unterschiedlichen Gruppen verehrt wurden, hatte integrierende und identitätsstiftende Funktion.

Typar eines Siegels der Stadt Boppard: British Museum London, Department of Medieval and Later Antiquities, Registration number 1842,0926.6. [CC BY-NC-SA 4.0]
Umschrift: + BOPARDIA LIBERVM ET SPETIALE OPIDVM ROMANI IMPERII
Universitätssiegel Heidelberg. Universitätsarchiv Heidelberg, SG 5, DIG 00088 (Foto: Gabriel Meyer, nachträglich freigestellt).
Umschrift: + SIGILLUM UNIVERSITATIS STUDII HEYDELBERGENSIS

Welche Funktion hatte Schrift auf einem Siegel?

Zweites Königssiegel Heinrichs VI.: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv, UR AUR Nr. 290 (freigestellt).
Umschrift: + HEINRIC(VS) D(E)I GR(ATI)A ROMAN//OR(VM) RE//X (ET) SEMP(ER) AVGVS//TVS

Gerade bei hochrangigen Siegelführern wie dem König oder den Bischöfen ist die Umschrift eng mit deren Autorität verbunden, nennt sie doch das ausgeübte Amt bzw. die Ämter. Da sie aber auch den Namen des Siegelführers angibt, ist sie die einzige Möglichkeit, die im Siegelbild dargestellte Person zu identifizieren.

Wie erwähnt, erkennt man einen Herrscher im Siegelbild sofort als solchen, aber erst die Umschrift + HEINRICVS DEI GRATIA ROMANORVM REX ET SEMPER AVGVSTVS (+ Heinrich, durch die Gnade Gottes König der Römer und allzeit Mehrer des Reiches) erlaubte die Zuweisung in diesem Fall zu König Heinrich VI. und der von ihm bekleideten römisch-deutschen Königswürde.

Die Legitimationsformel „von Gottes Gnaden“ gehörte auch in den Urkunden zum festen Bestandteil des Königstitels und band das Herrschersiegel über die Umschrift an die besiegelte Urkunde an.

Universitätssiegel Heidelberg. Universitätsarchiv Heidelberg, SG 5, DIG 00088 (Foto: Gabriel Meyer, nachträglich freigestellt).
Umschrift: + SIGILLUM UNIVERSITATIS STUDII HEYDELBERGENSIS

Diese Beobachtungen gelten analog für institutionelle Siegelführer, bei denen in vielen Fällen, wie etwa bei den Stadt- oder Universitätssiegeln, oft mehr Wissen notwendig ist, um das Siegelbild deuten zu können.

+Sigillum universitatis studii heydelbergensis: Hier ging es darum, die siegelführende Institution oder Korporation eindeutig zu benennen. Gerade in England finden sich zahlreiche Siegel, meist von Personen einfachen Standes, die gänzlich ohne Schrift auskommen. Auch zahlreiche sog. Nebensiegel, die von bedeutenderen Siegelführen parallel zu ihren repräsentativeren Hauptsiegeln geführt wurden, kamen ohne Umschriften aus.

Immer wieder finden sich Aufschriften auf dem Siegelfeld, meist um dargestellte Figuren, insbesondere Heilige, zu identifizieren. In einigen Sonderfällen, wie etwa auf der Namensseite der Papstbullen (hier das Beispiel von Calixt II.), die den Papstnamen, den gekürzten Titel P(A)P(A) sowie die Ordnungszahl anführen, besteht das gesamte Siegelfeld aus Schrift.

Sind Bullen auch Siegel?

Ein Sonderfall in der lateineuropäischen Sphragistik sind die in Byzanz sehr viel üblicheren Blei- sowie Goldbullen, die beidseitig beprägt wurden. Bleibullen führten seit dem Frühmittelalter die Päpste in Rom, wobei neben der erwähnten Namensseite seit der Zeit um 1100 die Apostelseite die Köpfe der beiden Apostel Petrus und Paulus zeigte und damit auf die doppelte Apostolizität des Papstes als entscheidendes Moment seiner Legitimation verwies.

Bulle Papst Calixts II., Avers: Hessisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung Marburg, Urk. 75 Nr. 119 (freigestellt).
Umschrift: CALIXTVS P(A)P(A) II.
Bulle Papst Calixts II., Revers: Hessisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung Marburg, Urk. 75 Nr. 119 (freigestellt).
Umschrift: S(ANCTVS) PA(VLVS) S(ANCTVS) PE(TRVS)

Seit der Zeit um 1000 führten die römisch-deutschen Herrscher parallel zu ihren Wachssiegeln deutlich seltener verwendete Bullen zunächst aus Blei, später dann aus Gold. Die eine Seite zeigte seit Konrad II. eine Stadtabbreviatur Roms mit der Umschrift + ROMA CAPUT MUNDI REGIT ORBIS FRENA ROTUNDI (+ Rom, das Haupt der Welt, regiert den Erdkreis) und reklamierte damit ebenfalls einen Herrschaftsanspruch auf Rom.

Goldbulle Kaiser Friedrichs II., Avers: Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe, D Nr. 28 (freigestellt).
Umschrift: + FRIDERIC(VS) D(E)I GR(ATI)A // ROMANOR(VM) // REX (ET) SEMP(ER) AVGVS//TVS ET REX // SICILIE
Goldbulle Kaiser Friedrichs II., Revers: Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe, D Nr. 28 (freigestellt).
Umschrift: + ROMA CAPVT MVNDI REGIT ORBIS FRENA ROTVNDI

Die andere Seite zeigte den Herrscher zunächst als Brustbild, später auch als Thronbild. Die Goldbullen der Herrscher wurden anstelle des Wachssiegels an den Urkunden befestigt, meist auf besonderen Wunsch der Empfänger oder als Auszeichnung seitens des Empfängers durch den jeweiligen Kaiser oder König.

 

Rück- oder Gegensiegel

Beidseitig mit gleich großen Stempeln beprägte Wachssiegel bezeichnet man als Münz- oder Doppelsiegel. Man findet sie etwa an Urkunden der englischen Könige. Sehr viel häufiger bezeugt ist, seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert, die Verwendung eines kleineren Stempels als Rück- oder Gegensiegel, welches in die Rückseite des mit dem Hauptsiegel geprägten Wachsabdruckes eingedrückt wurde. Diese Gegensiegel wiesen meist andere Motive auf als das Hauptsiegel. Hier liegen die Wurzeln des eigenständigen Gebrauchs von Wappensiegeln.

 

Fördervermerk: Dieser Beitrag wurde ermöglicht durch die Förderung des DigiLLab der Universität Augsburg.

Zitiervorschlag
Andrea Stieldorf: Siegel, in: Mathias Kluge (Hg.), Mittelalterliche Geschichte. Eine digitale Einführung (2022). URL: https://mittelalterliche-geschichte.de/stieldorf-andrea-01