Illustrierung
von Norbert Ott (München)
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Im Mittelalter entstand eine neue Qualität des bebilderten Textes. Dabei wurde eine Illustrierung nur verhältnismäßig selten vorgenommen. Das lag an den großen Kosten, die ein Künstler- engagement mit sich brachte.
Farbige Illustration mit Metallgründen aus Blattgold
(BHStA, Kloster Regensburg, Oberm. Nr. 1 fol. 75 v.)
1. Herstellung der Malmittel
Bereits die Herstellung der Malmittel gehörte zum Aufgabenbereich des Buchmalers. Arbeitshandbücher wie das Compendium artis picturae aus dem 11. und De Clarea aus dem 12. Jahrhundert vermittelten die Kenntnisse über Farb- und Bindemittel, den Aufbau der Malschichten und die gegenseitige Verträglichkeit oder Nichtverträglichkeit von Farben. Verwendet wurden dabei natürliche und chemische anorganische Farbmittel, natürliche organische Farbmittel sowohl pflanzlicher wie tierischer Herkunft und Kombinationen aus diesen drei Substanzen. Dabei ist festzuhalten, dass für die Deckfarbenmalerei der Pergamenthandschriften meist kostbarere Pigmente als für die mit Aquarellfarben kolorierten Federzeichnungen der spätmittelalterlichen Papierhandschriften verwendet wurden.
2. Natürliche anorganische Farbmittel
Zu den natürlichen anorganischen Farbmitteln – Erden, Kreiden und Mineralien – zählen das sich deckend und halbtransparent vermalbare schwefelgelbe Arsensulfid (Auripigmentgelb), bei dem die mittelalterlichen Rezeptbücher davor warnen, dass es sich nicht mit Grün, Mennige und Bleiweiß verträgt, sowie das chemisch verwandte orangerote Arsensulfid (Realgarorange), ferner der sich deckend vermalende rote und gelbe Ocker (terra rubea) und das Mineral Malachitgrün (Berggrün). Das natürliche Ultramarin (Lazur), ein sehr kostbares Pigment, wird aus dem Halbedelstein Lapislazuli gewonnen. Um seinen leuchtend tiefblauen Farb- ton zu erreichen, müssen die in ihm eingeschlossenen feinen äderchen aus Pyrit und Kalkspat beim Mahlen und Reiben entfernt werden. Einen ins Violette chan- gierenden Farbton hat Azurit, das aus pulverisiertem Kupferlasurstein gewonnen wird.
3. Chemische organische Pigmente
Die wichtigsten chemischen anorganischen Pigmente sind Bleiweiß, Zinnober und Grünspan. Bleiweiß, auch zum Ausmischen und Aufhellen zahlreicher Farbtöne benutzt, blüht aus, wenn dünn ausgewalztes Blei der Einwirkung von Essig ausgesetzt wird. Mennige, das in Spanien auch in der Natur vorkommt, wird durch Erhitzen von Quecksilber und Schwefel hergestellt und außer in der Malerei vor allem für die Rubrizierung der Schrift benutzt. Grünspan entsteht, wenn in einen ausgehöhlten Eichenholzblock eingeschlossene dünne Kupferbleche mit warmem Essig, Salz und Honig bedeckt oder nur mit Essig übergossen werden.
4. Organische Farbmittel tierischer Herkunft
Häufig benutzte natürliche organische Farbmittel tierischer Herkunft sind das intensiv purpurfarbene Karmin, das das Weibchen der auf der Kermeseiche lebenden Kermesschildlaus liefert. Der aus den Drüsensekreten verschiedener Schneckenarten gewonnene Purpur wurde zum Färben, nicht aber zum Malen benutzt. Für etwa ein Gramm kristallinen Purpurfarbstoff benötigt man etwa 10.000 Schnecken. Die Galle vom Kalb oder von der Schildkröte liefert einen gelben Farbstoff.
5. Pflanzliche organische Pigmente
Pflanzliche organische Pigmente sind vorwiegend die leuchtend gelben, getrockneten Blütennarben des Safran und mehrere grüne Pflanzensäfte, vor allem von Lauch, Petersilie und Schwertlilie, während ein vom samtigen Schwarzblau bis zum warmen Hellblau variierender Farbstoff entweder aus der tropischen Indigopflanze oder dem in Europa angebauten Waid gewonnen wurde. Folium, ein zwischen Weinrot, Bräunlichrot und Blauviolett variierender Farbstoff, wird aus den Früchten des Krebskrauts (Chrosophora tictoria Iuss.) hergestellt. Um diese Pigmente auf dem Bildträger zu fixieren, sind Bindemittel nötig, meist Eiweiß, Harze von Kirsch- und Pflaumenbäumen, Leim aus zerriebenem Pergament oder aus der getrockneten Schwimmblase des Störs. Dabei musste manches beachtet werden: Wurde zu wenig Bindemittel beigegeben, zerfiel die Farbe zu Staub und rieb sich vom Untergrund ab, zu starker Binder zog sich beim Trocknen zusammen und sprengte die Malschicht auf.
6. Gold und Silber
Nicht nur in der Tafelmalerei, sondern auch in Prachthandschriften aus Pergament wurden den Bildkompositionen oft Metallgründe aus Blattgold oder (seltener) Blattsilber hinterlegt. Die hauchdünnen Gold- oder Silberblätter wurden entweder mit Eiweiß direkt auf dem Pergament befestigt oder auf ein erhabenes Gessobett – eine Mischung aus Gips, Holzstaub, Puderzucker, Bleiweiß und Leim, die wegen ihrer Elastizität beim Bewegen der Pergamentblätter nicht brach – aufgelegt. Mit einem Griffel konnten in die mit dem Gesso unterlegten Metallflächen Muster und Ornamente in Blindprägung eingedrückt werden. In den spätmittelalterlichen Handschriften aus Papier, das für das Aufbringen von Metallblättern ungeeignet war, seltener in Pergamenthandschriften, wurde Gold und Silber, zuweilen auch Kupfer und Zinn, als pulverisiertes Metall vermalt. Mit Gummi oder Eiweiß vermischt blieb der Metallstaub auf dem Pergament- oder Papiergrund haften; die Wirkung von Goldstaub konnte durch gelbe Zusätze wie etwa Galle oder Pflanzensäfte intensiviert werden. Nach dem Abtrocknen wurde das vermalte Metall mit einem Achatstein oder einem Eberzahn geglättet und poliert.
7. Werkzeuge des Illustrators
Erst nach dem Vorbereiten des Handschriftenblatts oder -bogens durch Festlegen des Layouts, nach dem Markieren der Zeilenabstände mittels eines Zirkels und nach dem dem Schreiben des Textes sowie gegebenenfalls der Kapitelüberschriften und/oder Bildbeischriften begann die Arbeit des Illustrators. Beschrieben und bemalt wurden die noch unbeschnittenen und ungebundenen Bogen. Mitunter wurden den Illustratoren die Bildthemen mehr oder weniger detailliert durch Maleranweisungen vorgegeben, die sich zuweilen noch an den Blatträndern oder unter abgeblätterten Farbschichten der Miniaturen finden. Für die Anfertigung einer Deckfarbenminiatur waren viele Arbeitsgänge notwendig. Nachdem mit Blei der Aufriss festgelegt war, entstand ein sorgfältiger Federentwurf in blasser Tinte, schon mit den Details der Gestaltung, bei dem ähnliche Werkzeuge wie die der Schreiber verwendet wurden: eine Vogelfeder meist von Gänsen, deren Spitze zugeschnitten und in zwei Zungen zum Zurückhalten der Tinte und weicherem Gleiten gespalten war. Daher gehörten auch das zum Zuschneiden der Feder notwendige Messer und die Tintenfässer oder Tintenhörner zur Ausstattung des Zeichners. Nach diesem Arbeitsabschnitt wurde, wenn angezeigt, die Blattvergoldung ausgeführt. Beim eigentlichen Malen trug man zunächst die blasseren, dann die kräftig leuchtenden Farben auf, meist mit Pinseln aus Marderhaaren. Danach wurden die Konturlinien mit Feder oder Pinsel nachgezogen und zum Schluss die Spitzlichter aufgesetzt, mit feinen Hermelinpinseln oder Stoppelfedern aus Vogelflügeln. In größeren Werkstätten waren an diesen Arbeitsgängen oft mehrere Spezialisten beteiligt, zuständig für den Aufriss der Komposition, die detaillierte Vorzeichnung, die Vergoldung oder das Aufsetzen der Spitzlichter oder je nach ihren Fähigkeiten für figurenreiche Schlachtendarstellungen oder intime Dialogszenen. Auch die kolorierte Federzeichnung der spätmittelalterlichen Papierhandschrift wurde zunächst mit Blei entworfen. Dann wurde mit brauner oder schwarzer Feder die Zeichnung angelegt, die nicht wie in der Deckfarbenmalerei unter der Malschicht verschwand, sondern das graphische Strukturgerüst der Illustration bildete. Diese auf die Druckgraphik der frühen Neuzeit vorausweisende lineare Zeichnung mit wenigen Binnenschraffuren wurde – meist mit breitem Pinsel – mit transparenten Aquarellfarben und wenigen Deckfarben koloriert.