Abkürzungen
von Claudia Kalesse (Augsburg)
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Erst die korrekte Auflösung der Abkürzungen ermöglicht die fehlerfreie Lektüre und Transkription einer Handschrift. Darüber hinaus birgt die Analyse von Abkürzungen wissenschaftliche Erkenntnismöglichkeiten, etwa bei der Datierung von Handschriften oder bei der Erschließung des Gebrauchs mittelalterlicher Handschriften.
Film: Abkürzungen in mittelalterlichen Handschriften
Antike Tradition
Das Abkürzungswesen ist nicht erst im Mittelalter entstanden, sondern existierte bereits in der Antike. Bereits damals wurden auf Steinepitaphien Namen oder Amtsbezeichnungen abkürzt. Diese Abkürzungen verwendeten die Schreiber im Mittelalter weiter. Beweggründe waren dabei nicht nur Platzersparnis und Zeitgewinn, sondern auch Schreibtraditionen, Lesegewohnheiten oder persönliche Vorlieben eines Schreibers. Bei Amtsbüchern und Urkunden ging es vorwiegend darum, häufig auftretende Wörter mit einem gleichförmigen Zeichen abzukürzen. Dem Zeitgenossen, unter dem wir uns zunächst einen hochgebildeten Kleriker vorstellen müssen, waren diese Abkürzungen geläufig. Er wusste sie richtig aufzulösen und zu interpretieren.
Lexicon Abbreviaturarum
Doch auch die Zeitgenossen erkannten bereits die Schwierigkeit, dass Abkürzungen Raum für Interpretationen bieten. Ein Beispiel ist die Zeit Kaiser Justinians. Um Rechtssicherheit zu erhalten verfügte der Herrscher, dass in juristischen Texten Abkürzungen verboten sind. Bereits früh bemühte man sich um die Bereitstellung von Hilfsmitteln zur Auflösung von Abkürzungen. Im 19. Jahrhundert unterschied der italienische Archivar Adriano Cappelli über 14 000 Abkürzungen im Schriftwesen des Mittelalters. Capelli benannte dabei wesentliche Grundformen des Abkürzungsgebrauchs, von denen drei besonders häufig auftreten: Die Suspension, die Kontraktion und die Abkürzung durch feststehende Zeichen
Suspension
Eine der ältesten Abkürzungsformen ist die sogenannte Suspension. Bei dieser Abbreviatur wurden nur der Anfangsbuchstabe oder die ersten paar Buchstaben ausgeschrieben. Der Rest wurde durch einen Punkt oder durch einen Kürzungsstrich versinnbildlicht. In unserem Beispiel wurden das u und das s weggelassen und durch einen Kürzungsstrich dargestellt. Diese Abbreviatur wurde sehr häufig bei Eigennamen oder bei Amtsbezeichnungen verwendet.
Kontraktion
Eine der häufigsten Abkürzungsformen ist die sogenannte Kontraktion. Dabei wird ein Wort auf wenige prägnante Buchstaben, in der Regel Konsonanten, zusammengezogen. Diese Form der Abkürzung wurde häufig bei den sog. Nomina Sacra verwendet, also bei Heiligennamen und Heiligenbezeichnungen aus dem klerikalen Bereich.
Festehende Zeichen
Die Feststehenden Zeichen haben sich ursprünglich aus den tironischen Noten entwickelt. Die Tironischen Noten wurden bereits in der Antike vom Privatsekretär Ciceros entwickelt. Sie finden sich sogar noch im heutigen Gebrauch wieder, wie beispielsweise beim Pluszeichen (+) oder beim Prozentzeichen (%). Sie wurden auch in der mittelalterlichen Kanzlei sehr viel verwendet und ersetzen dort einen Wortteil oder ein ganzes Wort. In unserem Beispiel wurde das Wort et durch ein Zeichen dargestellt, das aussieht, wie die Ziffer 7.
Abkürzungen in deutschsprachigen Texten
In den deutschsprachigen Urkunden und Amtsbüchern, die seit dem 13. Jahrhundert auftreten, tritt das Abkürzungswesen nur in reduzierter Form auf. Das bedeutet aber nicht, dass weniger abgekürzt worden ist. Tatsächlich finden sich viele Abkürzungen für die Wortendungen -en, oder -er, die mittels Längungsstrichen oder hakenförmigen Zeichen abgekürzt wurden. Erst die korrekte Auflösung der Abkürzungen ermöglicht die fehlerfreie Lektüre und Transkription einer Handschrift. Darüber hinaus birgt die Analyse von Abkürzungen wissenschaftliche Erkenntnismöglichkeiten, etwa bei der Datierung von Handschriften oder bei der Erschließung des Gebrauchs mittelalterlicher Handschriften durch die Zeitgenossen.