Historische Hilfswissenschaften4. EpigraphikEpigraphik: Forschungsgegenstand und Arbeitsfelder

Epigraphik: Forschungsgegenstand und Arbeitsfelder

von Franz-Albrecht Bornschlegel (München)

Lesezeit: ca. 3 Minuten

Die Epigraphik des Mittelalters und der Frühen Neuzeit stellt einen relativ jungen Forschungszweig innerhalb der Disziplinen der Historischen Grundwissenschaften dar. Die Inschriften der nachantiken Zeit fanden als eine außerordentlich vielseitige Quellengattung, aber ohne die Exklusivität antiker Inschriften, erst spät das Interesse der Wissenschaft.

Steinmetzen bei der Arbeit, Kapitell aus St. Servatius, Maastricht, zwischen 1138 und 1151, Foto: Gerard Unger

In den fortgeschrittenen 1970er Jahren erfuhr die mittelalterliche und frühneuzeitliche Epigraphik im Zuge zahlreicher Neugründungen nationaler Inschrifteneditionsunternehmen und der beiden Maßstäbe setzenden Handbücher von Robert Favreau und Rudolf M. Kloos einen immensen Aufschwung und schließlich auch eine breitere Außenwirkung. War die Materialbasis derzeit noch sehr schmal, so können wir uns heute auf einen stattlichen und gut erschlossenen Inschriftenbestand stützen. Für den bequemen Einstieg in die epigraphische Literatur und Forschung stehen die reich beschlagwortete Literaturdatenbank von „epigraphica europea“, die thematisch gegliederten epigraphischen Literaturberichte von Walter Koch sowie aktuelle Zusammenfassungen des Wissensstandes in der Fachzeitschrift „Archiv für Diplomatik“ zur Verfügung.

Das Inschriftenmaterial

Das breit gestreute epigraphische Material umfasst Schriften, die in unterschiedlichen Techniken – gemeißelt, graviert, gestickt, gegossen, gemalt, geschnitzt usw. – ausgeführt wurden. Die Inschriften auf verschiedensten Trägern – in Stein, Holz, Metall, Leder, Stoff, Email, Glas, Mosaik usw. – wurden „von Kräften und mit Methoden hergestellt, die nicht dem Schreibschul- und Kanzleibetrieb angehören“ (Rudolf M. Kloos, Einführung in die Epigraphik des Mittelalters und der Neuzeit, Darmstadt 1980, 2., ergänzte Auflage, 1992, S. 2) . Sie grenzen sich somit ab von den handschriftlichen Buch- und Urkundenschriften, denen sich die paläographische Wissenschaft verschrieben hat. Grenzfälle, wie beschriftete Wachstäfelchen werden der Paläographie, die Graffiti der Epigraphik zugeordnet.

Zum Fachgebiet der Epigraphik zählen Inschriften auf Bauwerken und Baugliedern, Flurdenkmälern, Totengedächtnismalen, Glocken, Waffen und Rüstungen, Geräten und Gegenständen – seien es Gebrauchsgegenstände, wie Mobiliar und Gewänder, oder Luxusartikel, wie Schmuck oder Bildwerke.

Glocke mit stark ornamentalisierter Gotischer Majuskel, Lutherstadt Eisleben, Luthergeburtshaus, Mitte 14. Jh., Foto: Franz-Albrecht Bornschlegel
Glocke mit stark ornamentalisierter Gotischer Majuskel, Lutherstadt Eisleben, Luthergeburtshaus, Mitte 14.  Jh., Foto: Franz-Albrecht Bornschlegel

Die wissenschaftlichen Arbeitsfelder

Die Vielfalt der Herstellungsmethoden und der Inschriftenträger prägt die Ausgestaltung der Schrift maßgeblich und erzeugt ein facettenreiches Spektrum an Erscheinungsformen. Die Erforschung dieser Schriften hinsichtlich ihrer formalen Entwicklung durch die Jahrhunderte bildet die Basis der mittelalterlichen und der neuzeitlichen Inschriftenkunde in ihrem Bemühen, Lokalisierungs- und Datierungskriterien zu erarbeiten. Hier ergeben sich enge Berührungspunkte zur Paläographie und Kunstgeschichte.

Weitere epigraphische Arbeitsfelder sind aus dem Inhalt der Inschriften abzuleiten, traditionell gehören dazu die Untersuchung von Sprache und Formular. Ein interdisziplinäres Aufgabengebiet stellen unter anderem die deutsche Sprache und ihre Dialekte in Inschriften wie auch die Künstlerinschriften dar, die in den letzten Jahrzehnten die besondere Aufmerksamkeit von Germanisten bzw. Kunsthistorikern erfuhren. Das zügige Fortschreiten der Inschrifteneditionen europaweit schafft beste Bedingungen für fundierte Untersuchungen zu verschiedensten Teilbereichen und Aspekten von Inschriften, ob nun zu ihren äußeren oder inneren Merkmalen.

Sämtliche epigraphische Arbeitsfelder vereinen sich in der kritischen Edition. Sie stellt ein reichhaltiges und wissenschaftlich akribisch aufbereitetes Quellenmaterial für diverse historische Fragestellungen bereit. Die epigraphische Transkription unterscheidet sich von paläographischen Editionen und Urkundeneditionen durch eine absolut buchstaben- und zeichengetreue Wiedergabe der Inschrift.

Die Epigraphik stellt nicht nur ein abwechslungsreiches Arbeitsgebiet dar, sie bietet dem Historiker, Kunsthistoriker und Philologen eine mannigfaltige Quelle und kann zudem wertvolle Hilfestellung in Fälschungs- und Datierungsfragen leisten.

Zitiervorschlag
Franz-Albrecht Bornschlegel: Epigraphik: Forschungsgegenstand und Arbeitsfelder, in: Mathias Kluge (Hg.), Mittelalterliche Geschichte. Eine digitale Einführung (2023). URL: https://mittelalterliche-geschichte.de/bornschlegel-franz-albrecht-01