Quellenerschließung2. Die "Deutschen Reichstagsakten" (RTA)Die Geschichte der „Deutschen Reichstagsakten“

Die Geschichte der „Deutschen Reichstagsakten“

von Gabriele Annas (Frankfurt)

Lesezeit: ca. 13 Minuten

Bereits seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden einzelne Reichsgesetze und Aktenstücke wie beispielsweise die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (1356), die Reformation König Friedrichs III. (1442), ein Anwesenheitsverzeichnis des Frankfurter Wahltags (1486) und die Wormser Reichskammergerichtsordnung (1495) im Druck vorgelegt.

Titelblatt (Ausschnitt) einer Druckausgabe der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. von 1515,
Bayerische Staatsbibliothek, 2 J.publ.g. 99 a

„Corpus recessuum imperii“

Seit 1501 entstand darüber hinaus mit dem sogenannten „Corpus recessuum imperii“ eine umfangreiche Sammlung von Reichsabschieden und Reichsgesetzen, die bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts in insgesamt 39 Ausgaben gedruckt wurde und dabei stetig weitere Reichsgesetze und Reichstagsbeschlüsse erfasste. Unter dem Titel „Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede“ publizierte schließlich Ernst August Koch 1747 die letzte dieser Ausgaben in Frankfurt. Als maßgebliche Zusammenstellung der geltenden Reichsgesetze, Reichsabschiede sowie Reichsschlüsse (des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg, ab 1663) bildete die aus vier Teilen bestehende Neue Sammlung bis zum Ende des Alten Reichs eine wichtige Grundlage staatswissenschaftlicher und verfassungsrechtlicher Untersuchungen (Reichspublizistik).

Erst nach der rechtlichen Auflösung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation 1806 konnte aus diesem juristischen Quellencorpus eine historische Quellensammlung werden, die bei fehlenden gedruckten Alternativen bis heute in der geschichtswissenschaftlichen Forschung Berücksichtigung findet. Dokumentiert wurden im Rahmen des „Corpus recessuum imperii“ im Allgemeinen allerdings nur die Ergebnisse der jeweiligen Reichsversammlung, nicht jedoch das historisch-politisch weitaus vielschichtigere Reichstagsgeschehen insgesamt: von den organisatorischen Vorbereitungen über die bi- und multilateralen Verhandlungen bis zu den gemeinsam gefassten Beschlüssen. Mit dem Editionsprojekt der „Deutschen Reichstagsakten“ sollte sich dies grundlegend ändern.

Leopold Ranke
© Rolf Poss, München

Leopold Ranke und die „Deutschen Reichstagsakten“

Die Geschichte der „Deutschen Reichstagsakten“ als einer historisch-kritischen Quellenedition reicht bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts zurück. Bereits 1839 hatte Leopold Ranke (1795-1886) in der Vorrede zu seiner mehrbändigen „Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation“ auf den hohen historischen Quellenwert der zeitgenössischen Reichstagsaktensammlungen und -korrespondenzen hingewiesen.

Im Rahmen einer im September 1846 in Frankfurt am Main unter dem Vorsitz Jacob Grimms (1785-1863) abgehaltenen Versammlung der „Deutschen Rechts-, Geschichts- und Sprachforscher“ entwickelte der renommierte deutsche Historiker schließlich den Plan zur „Bildung eines allgemeinen deutschen Geschichtsvereins“. Zu den „die Gesammtgeschichte Deutschlands“ berührenden Gegenständen dieses Vereins sollten „zum Beispiel der deutsche Handel, die Acten der deutschen Reichstage und Aehnliches“ gehören.

Mit dem geplanten Editionsunternehmen der „Deutschen Reichstagsakten“ war anfänglich wohl nicht zuletzt ein „nationalpädagogisches“ Anliegen verbunden, das die Reichsversammlungen des 15. bis 17. Jahrhunderts als Paradigma eines gemeinschaftlichen Zusammenwirkens von „Königtum und Reich“ betrachtete. „Die Einheit der Nation“ – so konstatierte Leopold Ranke im bereits erwähnten Vorwort zu seiner „Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation“ – „fand in diesen Versammlungen ihren lebendigen Ausdruck.“

Die Frankfurter Denkschrift vom 28. September 1846

Gleichzeitig waren sich die in Frankfurt versammelten Geschichtsforscher auch der (rechts-)historischen Kontinuitäten bewusst, die den Deutschen Bund mit dem 1806 aufgelösten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verbanden. Entsprechend wandten sich führende deutsche Gelehrte, darunter neben Leopold Ranke und Jacob Grimm auch Friedrich Dahlmann (1785-1860) und Georg Heinrich Pertz (1795-1876), zunächst an die Fürsten und Städte der deutschen Bundesversammlung. Eine noch am 28. September 1846 unterzeichnete Denkschrift wurde am folgenden Tag dem Präsidialgesandten des Deutschen Bundes Joachim von Münch-Bellinghausen (1823-1848; † 1866) in Frankfurt überreicht.

Entworfen hatte den Text der Frankfurter Historiker und Begründer der „Regesta Imperii“ Johann Friedrich Böhmer (1795-1863). Mit Blick auf das für das eigene Fach Wünschenswerte habe sich das Augenmerk der versammelten Geschichtsforscher „vorzüglich auch auf die Verhandlungen der früheren deutschen Reichstage gerichtet, welche so lange den Kern der vaterländischen Geschichte bildeten, und an welchen alle Stände des Reichs gleichmäßig betheiligt waren“. Anknüpfend an die bis zum Ende des 14. Jahrhunderts reichende Arbeit der „Monumenta Germaniae Historica“ hoffe man, sich ebenso wie diese „unter dem Schutze und mit der Unterstützung der Fürsten und freien Städte Deutschlands“ der „Aufsuchung, Verbindung und Veröffentlichung“ der „(beiläufig seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts) in den deutschen Canzleien und Registraturen [gesammelten und aufbewahrten] Acten“ widmen zu können.

König Maximilian II. Joseph von Bayern und die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Die Voraussetzungen für eine dauerhafte Unterstützung des Editionsunternehmens wurden jedoch nicht durch den Deutschen Bund oder die Revolution von 1848/49 geschaffen, sondern durch das nachrevolutionäre Bayern der Zeit König Maximilians II. Joseph. Der bayerische Herrscher, ein großer Förderer der Künste und Wissenschaften, hatte schon 1857 einen bei der wissenschaftlichen Immediatkommission gestellten Antrag des Ranke-Schülers Heinrich von Sybel (1817-1895) auf eine Reichstagsakten-Edition genehmigt. Hiermit verband sich nicht nur die Bewilligung einer auf zwölf Jahre angelegten finanziellen Unterstützung, sondern auch der Auftrag an den mit der Leitung betrauten Heinrich von Sybel, einen detaillierten Plan für das Editionsprojekt zu erarbeiten. Im nachfolgenden Jahr 1858 gründete schließlich Maximilian II. Joseph in München die „historische Commission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften“, die entsprechend dem vom 26. November 1858 datierten königlichen Statut „die Herausgabe der deutschen Reichstagsacten“ in das Arbeitsprogramm aufnahm.

Aufforderung des königlichen Hofes an Heinrich von Sybel, einen Editionsplan für die "ältern deutschen Reichstags-Akten" vorzulegen (24. August 1857)
© Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Statut vom 26. November 1858
(erste und letzte Seite)
© Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Erste Überlegungen zur zeitlichen Eingrenzung

Die im zeitlichen Vorfeld 1857 geäußerten Überlegungen Leopold Rankes hatten eine Unterscheidung zwischen drei Reichstagsakten-Abteilungen vorgesehen: (1) die Reichsversammlungen vom beginnenden 15. Jahrhundert bis zur Zeit Kaiser Maximilians I., (2) die Reichstage der Reformationszeit sowie (3) die Reichsversammlungen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das 1859 vorgelegte Arbeitsprogramm des mit den Planungen betrauten Kommissionsmitarbeiters Georg Voigt (1827-1891) bevorzugte hingegen mit dem Nürnberger Hoftag 1355/56 zunächst einen früheren zeitlichen Ansatz, da „seit der goldenen Bulle Karls IV[.] die Reichstage schon mehr als ein Institut mit erkennbaren Merkmalen [erscheinen], die es immer deutlicher von andern Fürsten- oder Stände-Versammlungen unterscheiden lassen“. Als zeitlicher Abschluss des Editionsprojekts wurde der Augsburger Reichstag 1555, der Beginn bzw. das Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1618-1648) und die Entstehung des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg (1663) erwogen.

Gemeinsam war diesen und älteren Überlegungen zur zeitlichen Eingrenzung des Vorhabens das Bestreben der Beteiligten, chronologisch unmittelbar an die Arbeit der „Monumenta Germaniae Historica“ anzuknüpfen. Eine Überschneidung mit bereits in Bearbeitung befindlichen Publikationen sollte hingegen vermieden werden. Die Direktionen beider Editionsunternehmen – der „Deutschen Reichstagsakten“ und der „Monumenta Germaniae Historica“ – einigten sich schließlich auf die Herrschaftszeit König Wenzels (1376/78-1400) und den Frankfurter Wahltag im Juni 1376 als Beginn der Reichstagsakten-Edition.

Zum geplanten Umfang der Edition

Noch 1857 hatte Leopold Ranke die Auffassung vertreten, dass die Reichsversammlungen des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts durch „zwei nicht allzu weitläufig gedruckte Quartbände“ erfasst werden könnten. Die schließlich 1859 vorgestellten Planungen Georg Voigts hingegen sprachen sich angesichts des umfangreichen Quellenmaterials für eine erste Begrenzung auf das Jahr 1518 aus. Bislang wurden für den betreffenden Zeitraum vom Frankfurter Wahltag im Juni 1376 bis zum Tod Kaiser Maximilians I. im Januar 1519 insgesamt 29 umfangreiche Quellenbände (teilweise in mehreren Teilen) publiziert. Nach gegenwärtigem Stand sind allein für die Zeit Kaiser Friedrichs III. (1440 bis 1485) insgesamt zehn Reichstagsakten-Bände vorgesehen, von denen zwischenzeitlich fünf im Druck erschienen sind.

Wissenschaftliche Leitung und Mitarbeiter – die ersten Jahrzehnte

Die wissenschaftliche Oberleitung der „Deutschen Reichstagsakten“ übernahm in den ersten Jahrzehnten Heinrich von Sybel, der Sekretär (1858-1862) und spätere Präsident (1886-1895) der Historischen Kommission. Nach dem frühzeitigen Weggang Georg Voigts (ab 1860 Professor an der Universität Rostock) wurde die eigentliche Editionsarbeit von Julius Weizsäcker (1828-1889) übernommen, der von einer Reihe neben- bzw. ehrenamtlicher Mitarbeiter unterstützt wurde. Neben seiner langjährigen Tätigkeit als Universitätsprofessor (seit 1863) konnte er auf diese Weise insgesamt sechs Reichstagsakten-Bände für die Jahre 1376 bis 1410 publizieren. Mit den Arbeiten an den Reichsversammlungen der Zeit Sigismunds von Luxemburg (1410/11-1437) betraute Julius Weizsäcker darüber hinaus den Erlanger Bibliothekar Dietrich Kerler (1841-1907), der in den Jahren 1878 bis 1886 die Bände 7 bis 9 der „Deutschen Reichstagsakten“ (1410-1431) im Druck vorlegte.

Heinrich von Sybel
© Geist und Gestalt. Biographische Beiträge zur Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vornehmlich im zweiten Jahrhundert ihres Bestehens, Bd 3: Bilder, München: C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung 1959, Tafel 126
Julius Weizsäcker
© Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart
Ludwig Quidde
© Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek, München

Ludwig Quidde: ein Reichstagsakten-Editor und Friedensnobelpreisträger

Nachfolger Julius Weizsäckers in der Leitung der „Deutschen Reichstagsakten (Ältere Reihe)“ wurde 1889 der bereits 1881 in die Redaktion eingetretene Ludwig Quidde (1858-1941), der in den Jahren 1914 bis 1929 zugleich den Vorsitz der Deutschen Friedensgesellschaft übernahm und schließlich 1927 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde. Die vielfältigen politischen, pazifistischen und parlamentarischen Aktivitäten hinderten Ludwig Quidde immer wieder daran, sich gemeinsam mit den beiden anderen Mitarbeitern der „zweiten Generation“ – Gustav Beckmann (1864-1928) und Hermann Herre (1864-1921) – der eigentlichen Editionsarbeit längerfristig zu widmen. Nach seiner noch 1933 erfolgten Emigration in die Schweiz wurde er 1935 von der Abteilungsleitung entbunden. Offenkundig ohne formellen Ausschluss 1936/37 aus dem Mitgliederverzeichnis der Historischen Kommission gestrichen, starb der 1940 aus Deutschland ausgebürgerte Ludwig Quidde schließlich 1941 im Genfer Exil.

Die ersten Bände der „Deutschen Reichstagsakten“

Bereits 1867 konnte Julius Weizsäcker den ersten Band der „Deutschen Reichstagsakten“ im Druck vorlegen, der – beginnend mit der Königswahl Wenzels von Böhmen – die Reichsversammlungen der Jahre 1376 bis 1387 dokumentiert. Bis 1888 folgten immerhin acht weitere Bände (für die Zeit von 1387 bis 1431), in den Jahren 1898 bis 1914 nochmals fünf (Teil-)Bände (1431-1437, 1440-1441). Mit Ausnahme der kurzen Herrschaftszeit König Albrechts II. (1438/39) waren damit zu Beginn des Ersten Weltkriegs die Jahrzehnte bis zu den Anfängen Kaiser Friedrichs III. (1440-1493) editorisch erfasst.

Titelblatt des ersten Bandes der "Deutschen Reichstagsakten" (1867)
© Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Weitere Reichstagsakten-Abteilungen

Um den Fortgang des Editionsunternehmens zu beschleunigen, hatte die Historische Kommission bereits 1886 den Beschluss gefasst, ergänzend zur Älteren Abteilung eine Jüngere Reihe zu schaffen, die sich den Reichstagen der Zeit Kaiser Karls V. (1519-1555) widmen sollte. Mit der Mittleren Reihe wurde zudem 1928 die Gründung einer dritten Abteilung für die Epoche Kaiser Maximilians I. (1486-1519) angeregt. 1986 erfolgte schließlich die Einrichtung einer Vierten Reihe, die den Reichsversammlungen der Jahre 1556 bis 1662 – bis zu den Anfängen des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg (1663) – zugeordnet ist.

Titelblatt des ersten Bandes der Jüngeren Reihe der "Deutschen Reichstagsakten" (1893)
© Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Titelblatt des dritten Bandes der Mittleren Reihe der "Deutschen Reichstagsakten" (1972/73)
© Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Titelblatt des ersten publizierten Bandes der Vierten Reihe der "Deutschen Reichstagsakten" (1988)
© Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Die „Deutschen Reichstagsakten“ heute

Die einzelnen Abteilungen der „Deutschen Reichstagsakten“ werden bis heute von Mitgliedern der Historischen Kommission geleitet. Festangestellte ebenso wie freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen die einzelnen Bände.

Zusätzlich zu den in den letzten Jahren im Druck vorgelegten Publikationen der Mittleren Reihe (ab 2017), der Jüngeren Reihe (ab 2018) sowie der Vierten Reihe (ab 2013) stehen zwischenzeitlich Digitale Versionen zur Verfügung, die über die Homepage der Historischen Kommission aufgerufen werden können. Zugleich sind hier Übersichten zum Editionsprogramm der einzelnen Reichstagsakten-Abteilungen eingestellt, die neben einem stichwortartigen Verzeichnis der bereits bearbeiteten bzw. noch zu edierenden Reichsversammlungen auch entsprechende Quellen- und Literaturhinweise enthalten.

Die Bände 1 bis 17 der Älteren Reihe (1376-1445) können über das Internet-Portal Czech Medieval Sources online eingesehen werden. Die Bände Nr. 1 (1867) und Nr. 2 (1874) sind zusätzlich über die Digitale Bibliothek des Münchener DigitalisierungsZentrums abrufbar.

Links zu Digitalisaten der ersten vier Bände der Jüngeren Reihe (1519-1524) finden sich darüber hinaus auf der Homepage der Historischen Kommission.

Zitiervorschlag
Gabriele Annas: Die Geschichte der „Deutschen Reichstagsakten“, in: Mathias Kluge (Hg.), Mittelalterliche Geschichte. Eine digitale Einführung (2021). URL: https://mittelalterliche-geschichte.de/annas-gabriele-02