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Notariatsinstrumente / Notariatsurkunden

von Magdalena Weileder (München)

Lesezeit: ca. 9 Minuten

Als „Notariatsinstrument“ oder allgemeiner als „Notarsurkunde“ bezeichnet man die von einem oder mehreren öffentlichen, kaiserlich und/oder päpstlich autorisierten Notaren in einer bestimmten Form ausgestellte Urkunde. Man erkennt Notarsurkunden auf einen Blick an dem meist links unten angebrachten persönlichen Zeichen des Notars, dem sogenannten Notarssignet, sie weisen jedoch auch ein ganz typisches Formular auf, das sie von den meisten anderen Urkundenformen eindeutig unterscheidet.

Notariatsinstrument von 1460 März 23
(Bayer. Hauptstaatsarchiv, Domkapitel Passau Urk. 1353)

1. Historische Entwicklung

Vereinfacht gesagt ist das öffentliche Notariat nach spätantiken Vorbildern über verschiedene früh- und hochmittelalterliche Vorstufen in Italien entstanden und verbreitete sich von dort, vermittelt durch das Kirchenrecht, nach Deutschland und über ganz Europa. In Italien wurden Notariatsinstrumente bereits im 12. Jahrhundert zur dominierenden Urkundenform. Wegen hohen Geschäftsaufkommens gingen die Notare jedoch bald dazu über, nicht mehr in jedem Fall Urkunden auszustellen, sondern die Rechtsgeschäfte ihrer Mandanten mittels kurzer Notizen in sorgfältig aufbewahrten Registern, den sogenannten Imbreviaturbüchern, festzuhalten.

Ars notaria

Eine theoretische Verfestigung erfuhr die italienische Praxis durch die Notariatskunst (Ars notaria), also die Zusammenstellung von Regeln für die Ausübung des Notarsberufs, die von Bologneser Juristen im 12. und 13. Jahrhundert niedergeschrieben wurden. Als wichtigstes Werk gilt die Summa artis notariae (um 1255), nach ihrem Verfasser Rolandinus de Passageriis auch Summa Rolandina genannt. Die Regeln der Ars notaria wurden auch im Kirchenrecht berücksichtigt: Einer formgerecht ausgestellten Notarsurkunde (instrumentum publicum) kam vor einem geistlichen Gericht volle Beweiskraft (plena fides) zu. Manche anderen Urkundenarten mussten dagegen durch Zeugenaussagen gestützt werden, um als glaubwürdig zu gelten.

Tätigkeitsbereiche öffentlicher Notare nördlich der Alpen

Aufgrund dieser beweisrechtlichen Sonderstellung begann das öffentliche Notariat auch in Deutschland und den nordeuropäischen Ländern allmählich Fuß zu fassen, vielerorts indes erst im 14. Jahrhundert. Da in Deutschland mit dem Siegelwesen bereits eine gefestigte Tradition der Urkundenbeglaubigung bestand, blieb der Tätigkeitsbereich der öffentlichen Notare zudem relativ eingeschränkt. Wie beispielweise auch in England urkundeten sie hier bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert vor allem im Kontext der geistlichen Gerichtsbarkeit, insbesondere wenn es um Verfahren an der päpstlichen Kurie ging. Erst durch die Gründung des Reichskammergerichts (1495) und den Erlass der Reichsnotariatsordnung durch Kaiser Maximilian I. (1512) festigte sich die Stellung des öffentlichen Notariats auch in der weltlichen Gerichtsbarkeit des Reiches.

2. Die Autorisierung als öffentlicher Notar

Als „Notar“ wird oft ganz allgemein die Person bezeichnet, die eine Urkunde geschrieben oder formuliert hat. Von dieser reinen Funktionsbezeichnung zu unterscheiden ist das öffentliche Amt, das die öffentlichen Notare (notarii publici, gelegentlich auch tabelliones genannt) innehatten und das ihnen von Kaiser und/oder Papst verliehen werden musste. Das taten diese in der Regel nicht selbst, sondern verliehen das Notarsernennungsrecht an Untergebene. Die Päpste beschränkten es meist auf eine bestimmte Anzahl von Notaren. Anders die Kaiser, die es vor allem seit der Mitte des 14. Jh. oft als ein uneingeschränktes, mitunter sogar erbliches Recht übertrugen.

Unterschiedliche Zuständigkeiten hatten päpstliche und kaiserliche Notare nicht. Die etwas schwieriger zu erlangende päpstliche Autorisation (apostolica autoritate) scheint jedoch etwas prestigeträchtiger gewesen zu sein als die kaiserliche (imperiali autoritate).

Der Notar als privilegierter Zeuge

Voraussetzung für die Ernennung zum Notar war neben der fachlichen Eignung eine uneingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit (Sehen, Hören). Dies ergibt sich aus der Funktion des öffentlichen Notars als eines privilegierten Zeugen: In seinen Urkunden erklärt ein Notar nicht seinen eigenen Willen, sondern bezeugt als neutraler Dritter einen Vorgang, dem er persönlich beigewohnt haben muss. Zugleich durfte er nicht aus eigenem Antrieb Urkunden ausstellen, sondern musste dazu ausdrücklich gebeten werden.

3. Inhalte von Notarsurkunden

Notarsurkunden können verschiedenste Rechtsinhalte haben, in der Überlieferung gibt es jedoch deutliche Schwerpunkte: In deutschen Archiven sind besonders häufig Transsumpte (beglaubigte Abschriften) und Prokuratorien (Vollmachten) festzustellen, daneben Urkunden über die Besetzung von Pfründen sowie über Gerichtsprozesse, insbesondere vor päpstlich delegierten Richtern, also Personen, die im Namen des Papstes Verfahren leiteten. Auch gerichtliche Ladungen, außergerichtliche Einigungen oder die Wahl von Äbten wurden öfter mittels Notarsurkunden dokumentiert.

Darstellung eines Notars in einer Gerichtsszene Ulrich Tengler, Der neü Layenspiegel, Augsburg: 1511 (Bayer. Staatsbib., Res/2 J. pract 76), fol. 142r. [Liz.: CC BY-NC-SA 4.0]

4. Notariatsinstrumente und notarielle Siegelurkunden

Notarielle Siegelurkunde von 1417 September 27 (Bayer. Hauptstaatsarchiv, Kollegiatstift Vilshofen Urk. 160)

Man kann zwei Hauptformen von Notarsurkunden unterscheiden: 1. Das Notariatsinstrument im engeren Sinn, das stets aus der Sicht des Notars formuliert (1. Person Singular) und meistens unbesiegelt ist, und 2. die notarielle Siegelurkunde: Diese wird von einer anderen Person, normalerweise einem höheren Geistlichen, ausgestellt und besiegelt und ist aus deren Sicht formuliert (1. Person Plural), jedoch auch von einem öffentlichen Notar beglaubigt. Zusätzlich konnte ein zweiter und dritter Notar die Urkunde beglaubigen oder Siegel weiterer Personen angehängt werden. Ob die etwas aufwändigere Form der notariellen Siegelurkunde zum Einsatz kam, war vom Rechtsinhalt abhängig: So genügte für Vollmachten ein unbesiegeltes Notariatsinstrument, aber Prozessurkunden päpstlich delegierter Richter wurden stets als notarielle Siegelurkunden ausgefertigt. Transsumpte treten dagegen in beiden Formen auf.

5. Äußere Merkmale

Gegenüber den oft kleinen, ungerade beschnittenen Notarsurkunden in Italien sind die meisten deutschen Stücke auf relativ großzügig bemessenen Pergamentbögen mit breiten Seitenrändern geschrieben. Besonders große Abmessungen (bis zu 80 cm Seitenlänge) weisen die oft sehr umfangreichen Urkunden päpstlich delegierter Richter auf, die stets auf einem Einzelbogen geschrieben wurden. Längere Transsumpte wurden eher als Libell (lat. libellum = Büchlein) ausgefertigt, also als Heft aus mehreren Bögen, für die auch Papier verwendet wurde.

Notarssignet

Das augenfälligste Merkmal von Notarsurkunden ist das Notarssignet, das in der Regel links unter den Urkundentext gesetzt wurde. Rechts daneben steht die mehrzeilige Unterschrift des Notars, woraus sich ein ganz typisches Layout ergibt. Das Signet war personengebunden, sollte unverwechselbar sein und war grundsätzlich unveränderlich, wenngleich Änderungen etwa bei Autorisationserweiterungen möglich waren. Verbindliche Vorgaben für die Gestaltung von Notarssigneten gab es nicht, es entstanden jedoch gewisse Konventionen. So nahmen deutsche Notare im Unterschied zu ihren italienischen und französischen Kollegen gerne gegenständliche Motive in ihre Signete auf, die oft in einem Zusammenhang mit ihrem Namen standen.

Urkunde des päpstlichen Auditors (Richters) Johannes Gatscow von 1402 März 3 (Bayer. Hauptstaatsarchiv, Hochstift Passau Urk. 1048)
Als Libell geheftetes Transsumpt von 1420 März 29 (HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, AUR 1420 III 29, fol. 9v-10r)
Notarssignet des Ulrich Rapp von 1471 (LMU München, Lehrsammlung der Historischen Grundwissenschaften Nr. 49)

6. Innere Merkmale

Der größte Teil der Notarsurkunden in deutschen Archiven ist lateinisch, deutsche Stücke sind etwas seltener. Da Notarsurkunden voll von Abkürzungen sind, erscheinen sie auf den ersten Blick schwer lesbar. Allerdings ist ihr Formular überaus regelmäßig, geradezu standardisiert, da sie der Ars notaria entsprechend bestimmte Formeln enthalten mussten, um beweiskräftig zu sein.
Erforderlich war eine ausführliche Datierung unter Angabe von Ausstellungsort, Inkarnationsjahr, Indiktion, Regierungsjahr des Papstes (seltener des Kaisers), Wochen- und Monatstag; manchmal wurde sogar die Tageszeit und ein bestimmter Raum in einem Gebäude benannt, in dem die beschriebenen Ereignisse stattfanden. Außerdem mussten die Urkunden z.B. eine Anwesenheitserklärung (in mei notarii publici … presencia), Beurkundungsbitte (… petiit sibi per me … fieri unum … publicum … instrumentum) und Zeugenformel (presentibus … testibus ad premissa vocatis specialiter et rogatis) enthalten.

Ausschnitt aus Formularium instrumentorum, Rom 1495 (Bayer. Staatsbib., 4 Inc.c.a. 1205, fol. 29r), mit handschriftlichen Anmerkungen [Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0]

Die genannten Formeln sind fester Bestandteil von Notariatsinstrumenten und in leicht abgewandelter Form auch von notariellen Siegelurkunden. Hinzu kamen Formeln, die für den jeweiligen Rechtsinhalt verbindlich waren. Den genauen Wortlaut der erforderlichen Formeln variierten die Notare dabei nur geringfügig. Da eine falsche Formulierung zur Ungültigkeit der ganzen Urkunde führen konnte, verwendeten sie gerne Vorlagen aus Formelbüchern. Besonders beliebt war eine Sammlung namens Formularium instrumentorum, die seit 1474 in zahlreichen Druckausgaben erschien.

7. Forschungsfelder

Die deutschsprachige Forschung zu Notarsurkunden ist relativ überschaubar, was wohl nicht zuletzt an den oft recht abstrakt erscheinenden Inhalten dieser stark formalisierten Schriftstücke liegt. Am intensivsten hat man sich bisher noch mit den Notarssigneten befasst, die sich für kunsthistorische Untersuchungen und Vergleiche mit anderen personenbezogenen Zeichen oder graphischen Symbolen auf Urkunden anbieten.

Von rechtshistorischen Fragestellungen bis zur Netzwerkforschung

Die Urkunden selbst können als Quelle für rechtshistorische Fragestellungen, etwa nach den Verfahren vor päpstlichen Delegaten, herangezogen werden, aber auch für die Netzwerkforschung: Schließlich behandeln Notarsurkunden häufig Stellvertretungen vor Gericht oder in Rechtsgeschäften, nennen regelmäßig Zeugen und erlauben anhand präziser Angaben zu Ausstellungsort und -datum eine genauere Verortung der Ereignisse und Personen in Raum und Zeit, als dies die meisten anderen Urkunden tun. Für diplomatische und sphragistische Fragestellungen können speziell die notariellen Transsumpte eine wertvolle Quelle sein, da sie nicht nur den Wortlaut der beglaubigten Urkunde als Insert enthalten, sondern oft auch Informationen über deren Siegel, was besonders bei verlorenen Originalen nützlich ist.

Notarssignet des David Hennynger de Wormedith von 1431 (LMU München, Lehrsammlung der Historischen Grundwissenschaften Nr. 71)
Zitiervorschlag
Magdalena Weileder: Notariatsinstrumente / Notarsurkunden, in: Mathias Kluge (Hg.), Mittelalterliche Geschichte. Eine digitale Einführung (2021). URL: https://mittelalterliche-geschichte.de/weileder-magdalena-01