Landesgeschichte

von Sabine Ullmann (Eichstätt)

Lesezeit: ca. 4 Minuten

Text: Transkription von Filmaufnahmen

Im Unterschied zu den anderen historischen Fächern arbeitet die Landesgeschichte epochenübergreifend. Ihr Zugriff ist nicht die chronologische Ordnung der Geschichte, sondern der Raum.

Fiktive Darstellung Frankens (1493) (Bayerische Staatsbibliothek Rar 287, fol. 293)

Was die Landesgeschichte besonders interessiert, ist die räumliche Wirksamkeit historischer Ereignisse und Prozesse. Wenn wir uns als Landeshistoriker zum Beispiel mit Stadtgeschichte beschäftigen, dann betrachten und beschreiben wir nicht die verfassungs-, sozial- oder wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklungen in ihrem zeitlichen Ablauf, sondern wir fragen nach den Städtenetzen innerhalb einer bestimmten Region, nach wirtschaftlichem Aktionsradius der Bürger und Kaufleute oder nach Migrationsbewegungen und in einem ganz weitem Sinne auch nach Städtelandschaften.

Geschichte in Räumen

Geschichte auf diese Art und Weise in Räumen zu denken, bedeutet, mit einem mehrfachen Raumverständnis zu arbeiten, und das kann sehr vielfältig und spannend sein. Im Mittelpunkt stehen in einem ganz handfesten Sinne physisch-geographische Räume, die im historischen Wandel von den Menschen gestaltet werden. Das heißt konkret: Wir rekonstruieren die Genese des Landes Bayern und beschreiben damit die Entwicklung derjenigen Territorien, die im heutigen Freistaat Bayern aufgegangen sind. So erforschen und lernen wir, wie das heutige Bayern entstanden ist. Damit tragen wir letztlich auch dem Umstand Rechnung, dass deutsche Geschichte maßgeblich von den partikularen Kräften, also seinen Ländern geprägt worden ist.

Zugleich unterliegt das Land Bayern historisch betrachtet aber einem ständigen Wandel. Nicht nur die Grenzen variieren im historischen Verlauf, auch wir verändern bei unseren Forschungen oft diese räumlichen Zuschnitte. Wir orientieren uns nämlich nicht immer an den modernen Grenzziehungen des heutigen Bayerns, oft legen wir den Untersuchungsraum auch gar nicht vorher fest, sondern er entsteht erst im Zuge unserer Forschungen. Auf diesem Weg entstehen über einen offenen Regionenbegriff zum Beispiel Reichslandschaften oder jüdische Landschaften, also Landschaften, die thematisch bezogen sind.

Kulturelle Konstruktion von Räumen

Zugleich rückt die gesellschaftliche Konstruktion von Räumen in den Blick. Menschen lassen Räume durch ihre Handlungen entstehen, besetzten sie symbolisch und entwickeln auch vielfach eine raumbezogene Identität. Wir knüpfen unser Selbstverständnis gerne und häufig an bestimmte Orte und Landschaften. Das heißt, dass historische Landschaften oder Regionen folglich nicht naturgegeben und unveränderlich sind, sondern das Ergebnis einer langen mentalen Aktualisierung. Um zu verstehen, was Bayern historisch bedeutet, zählt daher auch die Entwicklung regionaler Kulturen zu unseren Forschungsgegenständen. Um Lebensformen und alltagsgeschichtliche Fragen zu analysieren, verkleinern wir zudem den Blickwinkel vom großen Raum der historischen Region auf den kleinen Raum: auf das Innenleben der Dörfer und Städte, auf die Sozialstrukturen dort, die Ordnungen und Hierarchien der Familien bis hin zu den Lebensläufen und Biographien der historischen Menschen.

Arbeitsfelder der Eichstätter Professur für Landesgeschichte

Das historische Umfeld unserer Universität von Eichstätt liegt geographisch genau in der Schnittstelle, in der Grenz- oder Übergangsregion zwischen Franken, Schwaben und der Oberpfalz. Daher konzentrieren wir uns innerhalb Bayerns besonders auf diese Regionen und deshalb steht auch der regionale Vergleich bei uns im Mittelpunkt. Außerdem haben wir hier in Eichstätt einen anderen Schwerpunkt als an anderen bayerischen Universitäten. Wir konzentrieren uns auf das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit. Eine Besonderheit der Eichstätter Professur für Landesgeschichte ist auch, dass sie gleichzeitig die Fachvertretung für die Epoche der Frühen Neuzeit innehat. In dieser Epoche sind auch meinen eigenen Forschungsschwerpunkte angesiedelt, die im Bereich der jüdischen Geschichte, der jüdischen Geschichte Bayerns und der Geschichte Bayerns im Kontext des Alten Reiches liegen.

Zu den Arbeitsfeldern der Landesgeschichte gehört weiterhin, dass sie häufig Ansprechpartner für eine Kulturpolitik ist, die sich für regional-, stadt- und ortsgeschichtliche Fragen interessiert. Deswegen stehen wir in enger Kooperation mit der umliegenden Museumslandschaft, der Bezirksheimatpflege sowie den Archiven. In allen Bereichen, die sich mit Kulturpolitik und der öffentlichen Vermittlung von Geschichte beschäftigen, liegen neben dem Lehramt die wichtigsten Berufsfelder für unserer Studentinnen und Studenten.

Zitiervorschlag
Sabine Ullmann: Landesgeschichte, in: Mathias Kluge (Hg.), Mittelalterliche Geschichte. Eine digitale Einführung (2007). URL: http://mittelalterliche-geschichte.de/ullmann-sabine-01