Quelleneditionen der MGH

von Gerhard Schmitz (München)

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Text: Transkription von Filmaufnahmen

Die Ausgaben der Monumenta Germaniae Historica sollten sich von Anfang an von den Produkten unterscheiden, die bis dahin auf den Markt gekommen waren.

Die Quelleneditionen der MGH

Möglichst alle Handschriften

Handschrift im barocken Lesesaal der Stiftsbibliothek St. Gallen

Schon im ersten „Planentwurf“ von 1818 hieß es, man wolle dem Forscher die Quellen des Mittelalters in möglichster Aechtheit und Eigentümlichkeit zugänglich machen. Damit waren kritische Ausgaben gemeint, die unter anderem alle bisherigen Drucke aber auch eine neuerliche Konsultation der Handschriften überflüssig machen sollte. Obwohl damals die Grundlagen der Textkritik noch längst nicht voll entwickelt waren, wusste man, dass dazu der Vergleich möglichst vieler, im Idealfall aller Handschriften, notwendig war. „Soviel möglich Vergleichung der Handschriften, soviel ihrer nur zu haben“, steht denn auch von Anfang an, an der Spitze der Bearbeitungsgrundsätze.

Überlieferungsgefüge

Viele und möglichst alle Handschriften heranzuziehen ist deshalb unumgänglich, weil wir von den, im weiteren Sinn literarischen Quellen, anders als etwa bei den Urkunden, in den aller seltensten Fällen das Original haben. Was wir haben, sind einzelne Handschriften, deren jede für sich ein Unikat darstellt und deren Wert und Stellung im Überlieferungsgefüge erst einmal kritisch und mühselig ermittelt werden muss. Das kann nur durch einen möglichst subtilen Vergleich der einzelnen Textzeugen geschehen. Überliefert ein Textzeuge überhaupt die ursprüngliche Gestalt des Textes oder am Ende eine redigierte, umgearbeitete, geglättete Fassung? Diese und damit zusammenhängende Fragen sind Kernaufgaben der Textkritik, die sich um einen authentischen und dem Editionsziel adäquaten Text bemüht.

Überlieferungsstammbaum (Ausschnitt / MGH SS 34)

Analyse der verwerteten Quellen

Handschriften und ihre Nutzer in einer mittelalterlichen Bibliothek (Paris, Bibl. Mazarine, ms. 313, f. 1)

Die genaue Analyse der jeweils verwerteten Quellen gibt Auskunft über die Ressourcen, die die Bibliothek des Autors zur Verfügung hatte. Sie gibt Auskunft über die literarische Technik des Autors, seiner Kompositionsgabe und Dergleichen mehr. Es ist deshalb wichtig, nicht nur die zitierten Quellen zu ermitteln, sondern möglichst vorzustoßen zu den direkten Vorlagen, die der Autor auf seinem Schreibpult liegen hatte, als er schrieb. Es macht einen Unterschied ob jemand den Augustinus, den Isidor, den Hieronymus, Gregor aus eigener Kenntnis zitierte oder ob er einer bereits zusammengestellten Exzerptensammlung seine Kenntnis verdankt.

Vorwort, Obertext, Apparat

Die Darlegung der bei der Textkonstitution beobachteten Prinzipien findet sich im Vorwort, das jeder Edition beigegeben ist, ebenso wie eine knappe Darlegung der benutzten Quellen und ihrer Behandlung. Der authentische und dem Editionsziel adäquate Text der Edition wird Obertext genannt. Die Quellenkritik schlägt sich in der fertigen Edition vorzüglich im Textkritischen Apparat (lat. apparatus = Zurüstung, Ausstattung) und im Druckbild nieder. Der Apparat dient sowohl der Dokumentation als auch der Kontrolle der Herausgeberentscheidungen. Im Druckbild sind etwa Bibelzitate, die jeweils am Rande in Monumenta-Ausgaben ausgewiesen werden, immer kursiv gesetzt. Um verschiedene Textschichten deutlich zu machen, findet sich manchmal auch ein „Petit-Druck“. Der Film zum Kapitel verdeutlich an einem konkreten Beispiel, warum es nützlich ist, sich bei seiner Arbeit auch immer wieder des Varianten- und des Sachapparates zu vergewissern.

Obertext und Apparat (Ausschnitt / Liber Pontificalis)
Zitiervorschlag
Gerhard Schmitz: Quelleneditionen der MGH, in: Mathias Kluge (Hg.), Mittelalterliche Geschichte. Eine digitale Einführung (2007). URL: https://mittelalterliche-geschichte.de/schmitz-gerhard-01