Forschung1. Theorien und MethodenFrauen- und Geschlechtergeschichte

Frauen- und Geschlechtergeschichte

von Martina Hartmann (München)

Lesezeit: ca. 6 Minuten

Text: Transkription von Filmaufnahmen

Die Grabskulptur der ostfränkischen Königin Hemma aus dem 9. Jahrhundert, die wohl erst gegen 1280 entstanden ist, gilt als eine der schönsten des 13. Jahrhunderts in Deutschland.

Grabplatte der Königin Hemma, katholische Pfarrkirche Sankt Emmeram in Regensburg.
Quelle: Bildarchiv Foto Marburg

Wir wissen, dass Hemma durch Vermittlung ihrer Schwester, der Kaiserin Judith, den ostfränkischen König Ludwig den Deutschen geheiratet hat und insgesamt fast 48 Jahre mit ihm verheiratet war. Sie gebar dem ostfränkischen König sieben Kinder, drei Söhne und vier Töchter, und sie erlitt Ende 874 im Kloster Sankt Emmeram einen Schlaganfall, der ihr das Sprachvermögen raubte und starb am 31. Januar 876 hier. Sie wurde dann auch hier bestattet und die Erinnerung an sie blieb im ganzen Mittelalter lebendig.

Mit Königinnen wie Hemma hat sich die Geschichtswissenschaft im Rahmen der politischen Geschichte schon immer beschäftigt. Aber das waren natürlich herausragende, einzelne Frauengestalten, deren Leistung berücksichtigt wurde, etwa bei Königinnen, die als Wohltäterinnen der Kirchen oder aber als Regentinnen für ihre minderjährigen Söhne wirkten. Und Frauen wie Hemma waren Ausnahmen angesichts der Tatsache, dass auch im Mittelalter die Hälfte der Menschheit weiblich war.

Vom Feminismus zur Geschlechtergeschichte

Nach dem 2. Weltkrieg kam daher, angestoßen vom Feminismus und der Frauenbewegung aus den USA, die Forderung auf, die lange vernachlässigte eigene Geschichte zu erforschen, da das historische Wissen über Frauen in allen Epochen der Geschichte äußerst dürftig sei. Dies ist damit zu erklären, dass Frauen jahrhundertelang politisch ziemlich einflusslos waren und sich daher die Geschichtswissenschaft auf Männer konzentrierte. Der neue Ansatz war langfristig gesehen sehr fruchtbar, auch wenn am Anfang Frauenforschung ideologisch betrieben wurde und zwar bewusst als Gegenpart zur bis dahin herrschenden männliche Perspektive der Geschichtswissenschaft. So wurden dann Thesen, die aus feministischer Sicht nahe lagen, wie etwa die der Unterdrückung der Frau untersucht, wobei sich dann das erwünschte Ergebnis gewissermaßen zwangsläufig ergab.

Die Anfänge der verhältnismäßig jungen Disziplin der historischen Frauenforschung, die zunächst recht kämpferisch auftrat, liegen in Deutschland in den 1970er Jahren, wobei sie zunächst meist von Frauen betrieben wurde und schon in wenigen Jahren eine Fülle von Publikationen hervorbrachte. Diese stießen allerdings teilweise auf Argwohn und auch auf harsche Kritik nicht nur von etablierten männlichen Mittelalterforschern. Die Kritik war insofern oft berechtigt, als unter der Thesenfreudigkeit und ideologischen Ausrichtung der Fragestellung die Ergebnisse litten. Die Zeitbedingtheit mancher Quelle wurde zu wenig berücksichtigt und die Frauen vergangener Epochen wurden in ihrem Denken und Handeln sowie ihrer gesellschaftlichen Stellung allzu sehr aus heutiger Sicht betrachtet. In grober Vereinfachung könnte man auch sagen, dass am Anfang der Frauenforschung die Neigung bestanden hat, bedeutende Frauen gegen bedeutende Männer aufzuwiegen, während dann in einer zweiten Phase versucht wurde, die Rolle der Frau in möglichst vielen Lebensbereichen herauszuarbeiten. Damit einher ging allmählich eine Lösung der historischen Frauenforschung vom Feminismus und eine intensivere Reflexion der Methoden und Quellen. Die Quellen sagen uns viel aus über Frauen, aber es bedarf einer intensiven Quellenkritik, da die Frauen in der Regel nicht das primäre Berichtsobjekt der Quellen sind.

Heute spricht man, auch um sich von diesen Anfängen abzugrenzen, lieber von Gender History oder Geschlechtergeschichte. Damit wird betont, dass man das Geschlecht als einen weiteren anthropologischen Bedingungsfaktor der Geschichte begreift und die Betrachtung auf Männer und Frauen und ihre spezifische Rolle in der Geschichte ausweitet.

Etablierung in der deutschen Mediävistik

In der deutschen Mediävistik war für die Frauenforschung das 1984 erstmals erschienene Werk der Bonner Landeshistorikerin Edith Ennen von Bedeutung, auch wenn es im Wesentlichen eine Erzählung von Einzelschicksalen darstellt, allerdings unter Berücksichtigung der jeweiligen Lebenssituation und Zeitbedingtheit der geschilderten Frauenleben. Wichtig war jedoch auch, dass sich mit Edith Ennen keine Feministin, sondern eine renommierte Mediävistin des Themas angenommen hat. Ihr Buch mit dem schlichten Titel „Frauen im Mittelalter“ hat inzwischen mehrere Auflagen erlebt und wurde in verschiedene Sprachen übersetzt. Ebenso entscheidend waren aber auch das seit 1984 an der Freien Universität Berlin betriebene Projekt „Interdisziplinäre Studien zur Geschichte von Frauen in Spätantike und Frühmittelalter“ unter Leitung von Werner Affeldt und die Arbeiten von Hans-Werner Goetz über Frauen im frühen Mittelalter und weibliche Lebensgestaltung im frühen Mittelalter. Letzteres war die Publikation einer Sektion des Bochumer Historikertags von 1990. Mit Affeldt und Goetz nahmen sich zudem zwei männliche Mediävisten dieser neuen Forschungsrichtung an und die Forderung, dass Frauenforschung oder Gender History nicht nur von Frauen betrieben werden solle, sondern auch von Männern, ist schon wiederholt erhoben aber leider noch nicht oft in die Tat umgesetzt worden. Inzwischen hat sich aber die historische Frauenforschung zunehmend in der deutschen Mediävistik etabliert.

Themenschwerpunkte neuerer Frauenforschung

Was sind nun die Themenschwerpunkte der neueren Frauenforschung? Inhaltlich stehen immer noch Königinnen wie Hemma, Heilige und Klosterfrauen aber zunehmend auch Autorinnen des Mittelalters im Blickfeld. Weiterhin geht es um Themen wie Rechts- und Besitzverhältnisse von Frauen oder um deren Geschäftstätigkeit. Ehe, Familie und Mutterschaft sind weitere Untersuchungsfelder genau wie Erziehung, Bildung und literarisch- künstlerische Produktion.

Wie auch für andere Disziplinen der mittelalterlichen Geschichte sprudeln dabei unsere Quellen für das Spätmittelalter wesentlich mehr als für das Früh- und Hochmittelalter, sodass wir manche Fragen für die frühere Zeit leider nicht beantworten können.

Ausgiebige Literaturberichte in Fachzeitschriften haben in den letzten Jahrzehnten versucht, die Flut verschiedenartiger Publikationen zu erschließen. Es bleibt zu hoffen, dass in den nächsten Jahren das Interesse der Forschung sich nicht nur auf Frauen wie Hemma richtet, deren Leben kaum repräsentativ für die eine Hälfte der Menschheit im Mittelalter war, sondern versucht wird, auch die Lebensbedingungen und die Lebenswirklichkeit einfacher Frauen genauer zu untersuchen.

Zitiervorschlag
Martina Hartmann: Frauen- und Geschlechtergeschichte, in: Mathias Kluge (Hg.), Mittelalterliche Geschichte. Eine digitale Einführung (2007). URL: https://mittelalterliche-geschichte.de/hartmann-martina-01