Interpunktion

von Irmgard Fees (München)

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Der Weg zu einer uns heute selbstverständlich erscheinenden Textgestaltung war weit und wurde beinahe vollständig im Mittelalter zurückgelegt.

Mittelalterliche Darstellung eines Schreibers

Scriptura Continua

Scriptura Continua
(Klosterbibliothek St. Gallen)

In Spätantike und Frühmittelalter wurden zahlreiche Texte in Scriptura continua geschrieben, das heißt in Buchstaben, die kontinuierlich und in regelmäßigen Abständen aufeinander folgen; eine Worttrennung gab es nicht, allenfalls setzte man Punkte zwischen die Wörter. „Das Ergebnis ist ein Schriftbild, dessen ebenmäßige Prachtenfaltung im umgekehrten Verhältnis zu seiner Lesbarkeit steht“ (Jakobi-Mirwald, S. 166).

Per cola et commata

In der Antike hatte es allerdings durchaus Methoden der Textgliederung und Interpunktion gegeben, insbesondere die Texteinteilung Per cola et commata, die Trennung von Wörtern durch Abstände oder Punkte sowie durch eine rhetorischen Kriterien folgende Interpunktion. Bei der Textgliederung Per cola et commata begann man jeden Sinnabschnitt mit einer neuen Zeile. Diese antike Tradition wurde von dem Kirchenlehrer Hieronymus für seine Revision des lateinischen Bibeltextes der Vulgata angewendet und wirkte so im Mittelalter nach.

Per cola et commata Textgliederung nach Sinnabschnitten
(Russ. Nationalbib.)

Worttrennung

Worttrennung durch Punkte (Römischer Grabstein)

Die Worttrennung ist eine der wichtigsten Hilfen zur leichteren Erfassung der Struktur eines Textes und damit für seine Lesbarkeit. Im römischen Altertum wurden rhetorische Einheiten und Sprechpausen durch Spatien (Zwischenräume) im fortlaufenden Text angezeigt, die unterschiedlich breit sein konnten. Außerdem war es im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. sowohl bei Inschriften wie bei literarischen Texten üblich, (nicht unbedingt auf der Grundlinie stehende) Punkte zwischen die Wörter zu setzen, um auf diese Weise die Worttrennung anzuzeigen.

Kapitulum- und Paragraphenzeichen

In der Antike setzte man zur Gliederung eines Textes in Abschnitte einen waage- rechten Strich oder einen Winkel ein. Aus diesem Zeichen oder auch, nach anderer Ansicht, aus dem Majuskel-C für capitulum (Kapitel) entwickelte sich das in mittelalterlichen Manuskripten verwendete Paragraphen-Zeichen, das gebildet wird, indem durch das Majuskel-C ein senkrechter Strich geführt und manchmal der entstehende Innenraum geschwärzt oder eingefärbt wird.

Paragraphen-Zeichen
(Hess. Staatsarchiv Marburg)

Interpunktion

Interpunktion auf verschiedener Zeilenhöhe
(British Library)

Ein weiteres in der Antike geübtes System der Textgliederung war dasjenige durch Satzzeichen. Bereits die Griechen verwendeten dazu Punkte in drei unterschiedlichen Stellungen und entsprechend unterschiedlicher Bedeutung; in leicht abgewandelter Form übernahmen die Römer dieses Prinzip. Anders als die heutigen Satzzeichen, die überwiegend nach syntaktischen Einheiten unterteilen, gliederte das römische System den Text rhetorischen Gesichtspunkten folgend: Ein auf der Linie stehender Punkt, das comma, bezeichnete die kurze Pause, ein mittelhoher Punkt, das colon, die mittlere Pause und ein hoher Punkt, periodus, das Satzende. Das war zumindest die Theorie; praktisch jedoch kam dem System, das noch Isidor von Sevilla (ca. 560-636) kannte und referierte, offenbar nur geringe Bedeutung zu. Jedenfalls verlor es in der Spätantike an Bedeutung; Alkuin, Gelehrter am Hofe Karls des Großen, beklagte gegen Ende des 8. Jahrhunderts den Verfall des Interpunktionssystems infolge mangelnd ausgebildeter Schreiber und setzte sich selbst für eine konsequente Interpunktion ein. An die Stelle des römischen Systems trat im frühen Mittelalter eine Vielzahl von nicht einheitlich verwendeten Kombinationen aus Punkten und Strichen, aus denen sich langfristig die heutigen Zeichen Komma und Semikolon entwickelten. In Vereinfachung des antiken Systems wurde vielfach auch ein tiefer Punkt für eine kleine, ein hoher Punkt für eine große Pause bzw. das Satzende verwendet. Gern setzte man Zahlen zwischen Punkte, um sie vor Verwechslung mit Buchstaben zu schützen oder auch um einer missbräuchlichen Hinzufügung weiterer Zahlzeichen vorzubeugen. Die moderne Interpunktion bildete sich im 16. Jahrhundert heraus; durch den Einfluss des Buchdrucks verfestigte sie sich zu einem nur noch wenig veränderlichen System.

Fragezeichen

Das Fragezeichen ist sehr alt; es erscheint zuerst in karolingischer Zeit in den Handschriften der Hofschule Karls d. Gr. Seine Herkunft ist umstritten; überzeugend scheint die Herleitung aus der gleichzeitig gebrauchten Neume Quilisma, also einem musikalischen Zeichen, das von mittelalterlichen Schriftstellern als „zitternde und steigende Tonverbindung“ beschrieben wird (B. Bischoff). Demnach stellte das Fragezeichen einen Hinweis für den (Vor-)Leser eines Textes dar, die Stimme zu heben; es charakterisiert die ansteigende Tonmelodie des ent- sprechenden Satzes und ist also ein rhetorisches Zeichen, dessen Aussehen sich im übrigen erst allmählich zu der heutigen Form entwickelte. Die Stellung am Ende eines Satzes lag im Mittelalter noch nicht endgültig fest, wenn sie auch überwog; in beneventanischen Manuskripten etwa wurde das Zeichen über dem Frageprono- men oder einem anderen Wort des Fragesatzes platziert, und in anderen Regionen erscheint es zuweilen auch am Anfang des Satzes. Ein spätes Fortwirken dieses Phänomens stellt vielleicht die Art der Verwendung des Fragezeichens im heutigen Spanisch dar, wo es außer in der üblichen Weise an das Ende des Satzes auch, auf dem Kopf stehend, an seinen Anfang gesetzt wird. Hier zeigt sich der Charakter des Fragezeichens als rhetorisches Zeichen in augenfälliger Weise.

Fragezeichen
(BSB München)

Ausrufungszeichen

Ausrufungszeichen
(BSB München)

Viel jünger als das Fragezeichen ist das Ausrufungszeichen. Als frühestes bekanntes Beispiel für seine Anwendung gilt heute in der Forschung ein auf 1399 datiertes Manuskript des Humanisten und Politikers Coluccio Salutati; im 15. und 16. Jahrhundert breitete sich das Zeichen allmählich aus. In derselben Epoche, also im 15. Jahrhundert, und ebenfalls im Umkreis italienischer Humanisten entstanden Klammern zur Kennzeichnung von Einschüben oder Zusätzen.

Trennungszeichen

Auf Trennungszeichen glaubte man lange verzichten zu können; war das Ende einer Zeile erreicht, so schrieb man in der folgenden Zeile weiter, ohne Rücksicht darauf, ob und an welcher Stelle ein Wort dadurch unterbrochen wurde. Erst seit dem 11. Jahrhundert, in England schon etwas früher, deutet ein Strich am Zeilenende an, dass ein Wort abbricht und in der nächsten Zeile fortgesetzt wird; die Trennung nimmt dabei zumeist keine Rücksicht auf Silben. Aus dem einfachen Trennungsstrich wurde seit dem 14.Jahrhundert ein Doppelstrich; heute ist man weitgehend wieder zum einfachen Trennungsstrich zurückgekehrt.

Trennungszeichen am Ende der ersten Zeile
(BSB München)

Zitate

Als Zitat gekennzeichnete Bibelstelle
(BSB München)

Zitate wurden sehr früh gekennzeichnet, zunächst indem man den entsprechenden Text leicht einrückte, aber sonst keine Zeichen verwendete. Später ging man dazu über, am Seitenrand Markierungen wie Punkte, einen senkrechten Strich, kleine Doppelstriche (Diplen) oder andere Zeichen zu setzen, solange das Zitat andauerte. Diese Zeichen wanderten vom Rand in den Text hinein; Anführungszeichen erscheinen schon vor dem 15. Jahrhundert.

Tilgung

Eine Tilgung von Wörtern erfolgt heute in handschriftlichen Texten zumeist mittels Durchstreichen. Die Schreiber des Mittelalters kennzeichneten zu tilgende Passagen in ihren Texten dagegen durch Unterstreichung oder durch eine Reihe von Punkten über oder unter den betreffenden Stellen.

Tilgung des Wortes Vita in der ersten Zeile
Zitiervorschlag
Irmgard Fees: Interpunktion, in: Mathias Kluge (Hg.), Mittelalterliche Geschichte. Eine digitale Einführung (2014). URL: https://mittelalterliche-geschichte.de/fees-irmgard-04