Orientierung im Text

von Irmgard Fees (München)

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Im Mittelalter gab es verschiedene Arten, umfangreiche Texte zu gliedern. Von der Entwicklung der Lagenzählung bis zur Entstehung der heute gebräuchlichen Seitenzählung war es ein langer Weg, der beinahe vollständig im Mittelalter zurückgelegt wurde.

Verschiedene Handschriften (Hauptstaatsarchiv München)

Lagenzählung

Lagenzählung mittels Buchstaben
(UB Heidelberg)

Es gab verschiedene Arten, die Texte in Codices zu gliedern. Eine Möglichkeit bestand darin, die Lagen eines Codex oder eines Buches zu zählen und zu nummerieren. Dies geschah mittels Zahlen oder Buchstaben in der linken oder rechten unteren Ecke der ersten, manchmal auch der letzten Seite. Später setzte man diese Zahlen oder Buchstaben in die Mitte des Randes.

Kustoden und Reklamanten

Eine weitere Möglichkeit: Man brachte am Schluss der letzten Seite einer Lage die Anfangswörter oder Anfangssilben der folgenden Lage an. Man nennt diese Wörter „Kustoden“ oder „Reklamanten“. Sie stellten eine Orientierung für denjenigen dar, der die Lagen nach der Arbeit zu einem Kodex oder einem Buch zusammenfügen musste, also für den Buchbinder. Der Gebrauch solcher Kustoden lässt sich in Spanien bereits im 10. Jahrhundert nachweisen und breitete sich seit dem 11. Jahrhundert weiter aus.

Reklamant
(UB Augsburg)

Buch- und Kapitelzählung

Textgliederung nach Büchern
(Bayerische Staatsbib.)

Eine Zählung der Blätter oder Seiten setzte sich im Mittelalter erst ganz allmählich durch. Im Orient und in Ägypten hatte es in der Antike zwar bereits eine Zählung von Blättern, Seiten oder Spalten bzw. Kolumnen gegeben, aber diese Praxis hatten die Römer offenbar aufgegeben. So waren die Texte des Mittelalters lange Zeit nur nach Büchern, Kapiteln und weiteren, kleineren Unterteilungen gegliedert. Zur leichteren Orientierung im Text waren diese Unterteilungen häufig auf dem oberen Rand der Seiten oder am Seitenrand angegeben.

Seiten- und Blattzählung

Auch solche Angaben machten aber besonders umfangreiche Bücher nicht viel leichter handhabbar, so dass man nützlichere Orientierungshilfen entwickelte. Das war zunächst die Blatt- oder Folienzählung. Seit dem 12. Jahrhundert verbreitete sich eine durchlaufende Blattzählung, seit dem 13.Jahrhundert dann auch die Seitenzählung und sogar die fortlaufende Zählung der Kolumnen. Selbst Zeilenzählung kommt zuweilen vor, zum Beispiel in wissenschaftlichen Büchern in England. Werden nur die Blätter gezählt, spricht man von Foliierung, werden die Seiten gezählt, von Paginierung.

Zählung nach Blättern
Zitiervorschlag
Irmgard Fees: Orientierung im Text, in: Mathias Kluge (Hg.), Mittelalterliche Geschichte. Eine digitale Einführung (2014). URL: https://mittelalterliche-geschichte.de/fees-irmgard-03