Epochengrenzen zur Neuzeit

von Johannes Burkhardt (Augsburg)

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Text: Transkription von Filmaufnahmen

Die Bezeichnungen Altertum, Mittelalter und Neuzeit gehen zurück auf die Dreiteilung der Geschichte durch den Schulrektor Christoph Cellarius. Um 1700 hat er ein Buch in diese drei Teile eingeteilt.

Johannes Burkhardt, Epochengrenzen zur Neuzeit / Startbild: Porträt des Christoph Cellarius / Keller (um 1731)

Dabei muss man sehen, dass das keine eigentliche Periodisierung gewesen ist, die irgendwie begründet ist. Cellarius brauchte drei Bücher, um eine Historia Universalis, eine Universalgeschichte zu schreiben, und nannte aus pragmatischen Gründen den letzten Band Historia Nova, den mittleren Band Historia Medii Aevi und den ersten Band Historia Antiqua. Es war ein sehr erfolgreiches Schulgeschichtsbuch, das vielfach nachgeahmt wurde, so dass sich die Bezeichnungen Mittelalter und Neuzeit von Büchern gelöst haben und auch so gebraucht worden sind.

Durchsetzung seit der Aufklärung

Aber gerade diese beiden Bezeichnungen sind erst in der Aufklärung und im 19./20. Jahrhundert zu gängigen Bezeichnungen geworden. Das war ein längerer Prozess. Insbesondere auch, dass man etwa mit der Neuzeit etwas Neues, Modernes verband und „Neuzeit“ ein Kampfbegriff gegen das „Finstere Mittelalter“ wurde, das ist eine Erscheinung des 19. frühen 20. Jahrhunderts, mittlerweile aber längst korrigiert.

„Mittelalter“ und „Neuzeit“ als nachträgliche Einteilung

Man muss bei dieser Einteilung immer sehen, (…) dass es eine nachträgliche Einteilung ist. Sie ist um 1700 überhaupt erst aufgekommen und hat sich langsam durchgesetzt, während die Leute, die um 1500, also zu Beginn der Neuzeit gelebt haben, überhaupt nicht wussten, dass sie in der Neuzeit lebten. Wer damals über Geschichte nachdachte, glaubte, dass die Welt im Prinzip immer gleich bleibt, (…) dass man in einer statischen Welt lebt, mit historischen Exempeln, die man aus jeder Zeit einfach heranziehen kann.

Und wenn man überhaupt Perioden bildete, dann waren es heilszeitliche Perioden. Das heißt, sie waren vorgegeben von Gott. Man leitete sie aus der Bibel kunstvoll ab. Die bekannteste, aus der mittelalterlichen Chronistik stammend, aber bis ins 17. Jahrhundert verwendet, ist die Periodisierung in drei Heilszeiten. Da wären die ersten beiden vor Christus, jeweils 2000 Jahre. Und von Christus nochmals 2000 Jahre (…). Da wären also unser Mittelalter und unsere Neuzeit in einer Periode versammelt, nämlich in der letzten Heilszeit.

Eine weitere Periodisierung, die auf eine biblische Prophezeiung zurückgeht, war die Periodisierung in vier Weltmonarchien oder auch Weltreiche: Das Assyrische Reich, das Persische Reich, das Griechische Reich und das Römische Reich. Das Römische Reich, das ja vor Christus schon begonnen hatte, bestand nach der Vorstellung dieser Zeit immer noch. Es wurde nämlich  durch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation fortgesetzt. Auch da wären  Mittelalter und Frühe Neuzeit in einer Periode versammelt. (…)

„Alteuropa“ als Epochenbegriff?

Solche Kontinuitätsvorstellungen sind später noch einmal aufgetreten, nämlich unter dem Begriff des „Alteuropa“. Darunter verstand man zumeist eine Zeit von 1200 bis 1800. Das halbe Mittelalter und die Frühe Neuzeit wären dann gemeinsam in einer Epoche gewesen. Das hat manches für sich, aber eigentlich fast nur konsequent in der deutschen Geschichte und nur dann, wenn man auf die föderale Verfassung blickt. (…) Diese politische Ordnung ist im Mittelalter begründet und in der Neuzeit bis ans Ende des Heiligen Römischen Reiches fortgesetzt worden.

Denkt man etwa an die Goldene Bulle von 1356, so sieht man, dass Deutschland ist keine glatte Monarchie, sondern eine Wahlmonarchie war. Sieben Kurfürsten, die selbst das Reich und auch einzelne Länder (mit-)regierten, wählten einen unter sich oder auch einen anderen zum Kaiser. Es wurde auch genau bestimmt, dass deren Territorien unteilbar sein und bestehen bleiben sollten. Hier kann man durchaus moderne Züge erkennen. Es wurde sogar schon ein Wahlrecht festgelegt, nach Mehrheit, was eine eminent moderne Angelegenheit ist. Auch hier wären Mittelalter und Neuzeit in einer Epoche. Aber diese Epoche würde 1806 noch gar nicht enden, sondern wir hätten dann vom Mittelalter bis zur Bundesrepublik Deutschland eine einzige Epoche „Alteuropa“. Das würde ich dann doch eher als „Frühmodernes Europa“ bezeichnen.

Diskontinuitäten zwischen Mittelalter und Neuzeit

Es gibt jedoch auch Vorstellungen, dass um 1500 eine sachliche Zäsur anzusetzen ist. Man hat lange auf die Renaissance verwiesen. Das ist aber so eine Sache, denn die wollte das Altertum wiederherstellen. Das war eigentlich keine moderne Zeit. Man hat auf Reformation und Konfessionsbildung als einen Neuzeitlichen Vorgang verwiesen. Das ist richtig, aber wollen wir wirklich die Moderne von der Konfessionsbildung abhängig machen? Man hat auf die Staatenbildung verwiesen, aber das ist ein langer und offener Prozess, der bereits im Mittelalter begann. Man hat auf den Kapitalismus verwiesen, einen sogenannten Frühkapitalismus. Aber gerade an den Fuggern kann man feststellen, dass sie so frühkapitalistisch gar nicht waren, sondern eher Financiers des Kaisers. Auch die Entdeckung Amerikas wird als Epochengrenze bezeichnet. Das wäre der Beginn der europäischen Expansion. Diese Vorstellung liegt von der Globalisierung her nahe. Doch handelt es sich um einen Prozess, der 500 Jahre dauerte, bis er endlich zur Entstehung der USA führte. Das wäre zu früh angesetzt. Für Wirtschaft und Globalisierung ist das 18. Jahrhundert viel geeigneter, als die Entdeckung des Columbus von 1500.

Die „Medienrevolution“ als Epochengrenze

Es bleibt aber doch ein Unterschied zwischen Mittelalter und Neuzeit, den ich für zentral halte: Das ist die Kommunikation. Am Ende des Mittelalters (um 1450) etablierten sich die Druckmedien und schon nach etwas Anlauf hatten sie ihre große Zeit in der Reformation. Nicht die Reformation war modern, sondern die Art, wie sie durch die Druckmedien verbreitet wurde. Hier kann man flankierend noch das Postsystem mit hinzunehmen, dessen organisierte Verbreitung, kommunikationsgeschichtlich ein eminent wichtiger Vorgang war. Auf der anderen Seite ist das Anwachsen der Schriftlichkeit überhaupt zu sehen. Insgesamt ist eine unheimlich verbreiterte, exponential wachsende Kommunikationssituation erkennbar. Ich würde also insgesamt sagen: Kontinuität auf dem Gebiet der deutschen Geschichte und des Föderalismus. Eine deutliche Diskontinuität und Zäsur um 1500 wird hingegen in der Kommunikationsgeschichte erkennbar.

Zitiervorschlag
Johannes Burkhardt: Epochengrenzen zur Neuzeit, in: Mathias Kluge (Hg.), Mittelalterliche Geschichte. Eine digitale Einführung (2007). URL: https://mittelalterliche-geschichte.de/burkhardt-johannes-01